Next Station London von Matthew Dunstan – erschienen bei HCM Kinzel
Was kommt euch in den Sinn, wenn ihr an London denkt? Bei mir ist es unter anderem der Ausruf "Mind the gap!". O‑Ton gefällig? Bitte schön! Bei dieser Sache macht sich wohl bemerkbar, dass ich von Beruf Verkehrsplaner bin. Somit ist es wohl wenig überraschend, dass ich sehr neugierig auf NEXT STATION LONDON war. Zumal in der letzten Zeit durchaus schon einige interessante Spiele auf den Markt (VOLL VERPLANT, GET ON BOARD: NEW YORK & LONDON...) kamen, die den öffentlichen Nahverkehr in Großstädten zum Thema haben.
Thema... wir planen vier unterschiedliche U‑Bahn-Linien in London, die keinen realen Vorbildern folgen müssen. Vielmehr versuchen wir den klassischen Spagat zwischen Vielfältigkeit und Konzentration. Man merkt aber, dass Autor Matthew Dunston Materialwissenschaftler und kein Verkehrsingenieur ist. Denn bei NEXT STATION LONDON werden wir belohnt, wenn wir oft die Themse queren. So etwas können sich nur Leute ausdenken, die sich noch nicht mit Mehrkosten einer solchen Flussquerung auseinandersetzen mussten. 😉
Illustrationen… sind von Maxime Morin, der sein Können auch schon bei CODEX NATURALIS zeigen durfte – und mit seinen Arbeiten eindrucksvoll zeigt, dass er durchaus unterschiedliche Stile beherrscht. Denn auch wenn wieder viele kleine liebenswerte Details zu finden sind, wirkt NEXT STATION LONDON doch ganz anders als CODEX NATURALIS.
Ausstattung… folgt den Anforderungen an ein Flip-and-Write-Spiel: ein Block mit Spielplänen, viele Karte und vier Stifte. Diese bringen vier Farben ins Spiel und sorgen für das gewisse Extra.
Der Motor des Spiels sind die Stationskarten. Diese zeigen jeweils eines der vier unterschiedliche geometrische Formen bzw. einmal das Joker-Symbol mit allen vier Formen. Außerdem ist dieser Satz doppelt vorhanden: einmal ohne und einmal mit magentafarbenem Balken. Die so ins Spiel gebrachten geometrischen Formen finden sich auch auf einem festen Raster auf den Spielblättern, denn diese Formen stellen dort die unterschiedlichen möglichen Bahn-Stationen dar. Manche Stationen auf dem Plan sind übrigens Sehenswürdigkeiten, was man am schwarzen Sternenumriss erkennen kann.
Für das fortgeschrittene Spiel sind zusätzlich noch Auftragskärtchen sowie Farb-Bonus-Karten im Angebot.
Ablauf… eine Partie NEXT STATION LONDON geht über genau vier Runden. In jeder Runde nutze ich einen anderen farbigen Stift, um damit einzelne Stationen geradlinig zu verbinden und somit ein U‑Bahn-Netz zu erschaffen. Welche Station als nächstes an das bestehende Ende der aktuellen Linie angehängt wird, zeigt jeweils die neu aufgedeckte Stationskarte. Die aktuelle Runde endet, wenn die fünfte magentafarbende Karte aufgedeckt wurde. Das kann im ungünstigsten Fall schon nach fünf Karten der Fall sein – oder erst nach der zehnten Karte. Dazwischen kann sich übrigens noch eine Weichen-Karte einschleichen, die dafür sorgt, dass ich die aktuelle Linie nicht nur an den Enden verlängern kann, sondern auch an einer Zwischenstation. Andere Linien darf ich übrigens nur an den Stationen kreuzen, auf freier Strecke sind keine Schnittpunkte möglich.
Am Ende einer Runde werden dann die erzielten Punkte ermittelt. Diese Rechnung ist recht einfach: die Anzahl der angefahrenen Bezirke mal die Anzahl der Stationen in dem Bezirk, der die meisten angeschlossenen Stationen dieser Linie aufweist. Zusätzlich wird noch jeder Flussübertritt mit zwei weiteren Punkten belohnt. Am Ende der Partie werden noch weitere Punkt für Stationen vergeben, bei denen sich zwei oder mehr Linien getroffen haben. Und es gibt noch Punkte, wenn ich die Sehenswürdigkeiten oft mit meinen Linien erschlossen habe.
Eine kleine Erweiterung bringt dann noch zwei der fünf möglichen Aufträge ins Spiel. Beispielsweise soll ich fünfmal den Fluss überqueren oder alle neun Stationen des zentralen Bezirks in mein Netz integrieren. Für jede erfüllte Aufgabe erhalte ich zusätzlich zehn Punkte. Will ich noch mehr bedenken, können auch Farb-Boni ins Spiel gebracht werden. Dann hat jede Linienfarbe noch eine kleine Hilfe zu bieten, die es geschickt zu nutzen gilt.
Das gefällt mir nicht so gut: Die Basis-Variante funktioniert tadellos. Als erfahrener Spieler mag ich aber die Aufträge nicht mehr missen, da diese dem Spielgeschehen zusätzliche Würze geben. Leider ist die Auswahl an diesen Aufgaben aber doch recht beschränkt. Ich hätte mir da gerne noch den ein oder anderen zusätzlichen Auftrag gewünscht, um eine größere Varianz zu erzeugen. Dahingegen kann ich mich auf einen neuen Spielplan freuen, da mittlerweile ein 2. Teil (NEXT STATION TOKYO) angekündigt wurde.
Im Gegensatz zu den Aufträgen finde ich die Farb-Boni unnötig. Diese erhöhen nur den Erkläraufwand ohne eine größere Tiefe zu erzeugen – zumal einzelne Farben recht kurz sein können, weswegen dann der Farb-Bonus gar nicht die Wirkung wie bei anderen Spielenden erzeugen können. Dieses Element ist in meinen Augen somit vernachlässigbar.
Etwas unglücklich bin ich auch mit der Anleitung. Selbst wenn versucht wird, viele Beispiele zu zeigen, wird das einfache Spielprinzip leider recht umständlich erklärt. Schuld daran kann auch der Versuch sein, die einzelnen Abschnitte über Farbcodes zu trennen. Dabei werden dann die Spielfarben benutzt, was aber eher verwirrt als hilft – zumal später diese Hintergrundfarben wieder benutzt werden, um andere Aspekte zu erläutern. Nicht falsch verstehen, die Anleitung schießt keine Böcke, aber so richtig an die Hand genommen habe ich mich nicht gefühlt. Ach und wenn ich schon dabei bin: der Solo-Modus ist eine reine High-Score-Jagd, die aber etwas unbefriedigend ist. Schließlich hängt die absolute Punktezahl sehr davon ab, wie viele Karten überhaupt aufgedeckt wurden. Braucht es meinen Augen nicht und löst auch keinen Sog aus.
Das gefällt mir gut: In NEXT STATION LONDON fühle ich mich endlich als Planer. Sowohl bei VOLL VERPLANT wie auch bei GET ON BOARD sind mir die Restriktionen zu stark. Bei beiden fühle ich mich in ein Schema gepresst, aus dem ich das Beste machen muss. Das ist auch reizvoll, keine Frage. Aber bei NEXT STATION LONDON habe ich mehr das Gefühl, mit einem weißen Blatt zu beginnen und Herr der eigenen Planungen zu sein. Für meine erste Linie bestehen noch alle Freiheiten und erst im späteren Verlauf werden meine Entscheidungen immer eingeschränkter – aber nicht, weil der Spielplan diese Beschränkungen vorgibt, sondern weil ich selbst durch meine Linienführung dafür gesorgt habe.
Ich sollte mir also immer überlegen, welche Konsequenzen meine gebaute Strecken haben. Dies bedeutet auch, dass ich gerne mal passe, um später noch handlungsfähig zu sein. Zumal es auch für die Wertung manchmal keinen Vorteil hat, eine Linie nur deswegen einzuzeichnen, weil man es darf. NEXT STATION LONDON weist dabei eine schöne Lernkurve auf. In der ersten Partie lerne ich die Spielmechanik kennen und erlebe dann gegen Ende die Zwänge. In der zweiten Partie habe ich diese schon im Hinterkopf und stelle mich flexibler auf und spätestens ab der dritten Partie habe ich mehrere Pläne im Kopf und versuche mich auf die aufgedeckten Symbole vorzubereiten. Durch den Kartenmechanismus kann ich diese nämlich immer gut abschätzen. Die Häufigkeit ist nicht zu groß, so dass ich immer ein gutes Gefühl für die aktuelle Situation habe. Idealerweise werden die ausgespielten Karten auch versetzt abgelegt, so dass alle immer wissen, wie viele magentafarbene Karten noch bis zum Runden-Ende fehlen.
Die Aufträge geben mir zusätzlich noch eine weitere Entscheidungshilfe. So versuche ich manchmal mein Netz sehr kompakt zu gestalten, damit ich die Stationen in der Mitte auch sicher abdecke und viele Kreuzungspunkte besitze. Ein anderes Mal breite ich mich bis in alle Ecken aus und steuere mit großer Vorliebe die Sehenswürdigkeiten an. Was ich aber wirklich umsetzen kann, entscheiden die Karten und deren Verteilung. Da diese aber nicht ganz so willkürlich wie ein Würfel sind, kann ich damit im Kopf arbeiten. Trotzdem ist vor allem gegen Ende der Runde die Spannung groß. welche Karte denn nun aufgedeckt wird und es wird lautstark gestöhnt oder gejubelt. Trotz aller Abstraktion schürt NEXT STATION LONDON dabei Emotionen. Gut gefällt mir auch, dass es kein Wettrennen um die Auftragspunkte gibt. Ein solches Element wird gerne benutzt, um eine Interaktion zwischen den Spielenden zu simulieren. Aber durch die zufällige Kartenverteilung bei unterschiedlichen Farben wäre ein solches Wettrennen nicht fair – und deswegen wurde konsequenterweise darauf verzichtet.
Nicht nur das Spieldesign verdient viel Lob, auch die Umsetzung des Verlages weiß zu gefallen. Die Box mit Magnet-Klapp-Verschluss ist pfiffig, deutlich angenehmer ist jedoch, dass beim Material auf unnötigen Kunststoff verzichtet wurde. Die Karten werden von einer Papierbanderole zusammen gehalten, die Buntstifte sind ebenfalls in einem Papier-Etui verpackt. Leider ist das immer noch erwähnenswert, auch wenn diese Materialentscheidungen glücklicherweise immer weniger zur Ausnahme werden. Die gewählten Farben funktionieren übrigens gut bei Farbfehlsichtigkeiten, so dass auch diese Klippe erfolgreich umschifft wurde. Mir gefallen die Farben auch deswegen, weil ich am Ende das befriedigende Gefühl habe, tatsächlich ein sinnvolles U‑Bahn-Netz geschaffen zu haben.
Fazit: NEXT STATION LONDON trifft voll meinen Nerv, da ich relativ frei planen und optimieren kann. Aufgrund der Einfachheit des Systems wird daraus aber keine Kopfarbeit – und die schwach ausgeprägte Zufallskomponente lockert auf und sorgt für Emotionen. Somit ist NEXT STATION LONDON eines meiner liebsten Flip-and-Write-Spielen – und das, wo doch gerade in mir das Gefühl aufkam, dass dieses Genre ziemlich ausgelutscht ist.
Titel | Next Station London |
---|---|
Autor | Matthew Dunstan |
Illustrationen | Maxime Morin |
Dauer | 20 bis 30 Minuten |
Personenanzahl | 1 bis 4 Personen |
Zielgruppe | Buntstifte mögende Familienspielrunden |
Verlag | HCM Kinzel |
Jahr | 2022 |
Hinweis | für die Besprechung wurde vom Verlag ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt |
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