Romeo & Julia von Julien Prothière und Jean Philippe Sahut – erschienen bei Huch!
Ich will gerade auf meine Shakespeare-Zitate-Seite zu Romeo & Julia verlinken – und stelle dabei fest, dass es diese noch gar nicht gibt. Skandal! Wieso komme ich nicht zu Genüge dem allgemeinen Bildungsauftrag nach? Denn auch wenn der Großteil der Menschen etwas mit Romeo & Julia anfangen kann, so habe ich damals im Kino bei der Verfilmung von Baz Luhrmann gelernt, dass das Ende nicht allen bekannt ist. Und dass sich dieses auch nicht ändert, nur weil der damalige Teenie-Schwarm Leonardo DiCaprio die Hauptrolle übernommen hatte. Das war für manche ein Schock fürs Leben...
Thema... natürlich wollen ROMEO & JULIA ihrer jungen Liebe frönen – und das ohne nervige Zuschauer! So ganz ohne Aufpasser geht das zwar im damaligen Verona nicht, aber so lange nicht die beiden verfeindeten Familien direkt aufeinander treffen, kann man diese Nebengeräusche gerade noch ausblenden. Also gilt es sich an wechselnden Orten zu treffen und dort die ewige Liebe zu beschwören. Hinderlich ist allerdings, dass es damals noch keine Smartphones gab und sich die beiden Liebenden aufgrund der eingeschränkten Kommunikation das ein oder andere Mal verpassen.
Illustrationen... sind von David Cochard und mussten bei mir erst Überzeugungsarbeit leisten. Die Cover-Gestaltung finde ich derart schwülstig, dass ich mich wirklich überwinden musste, mich näher mit dem Spiel auseinander zu setzen. Da wurde mein Geschmack so gar nicht getroffen. Die Gestaltung des weiteres Materials hat mir aber außerordentlich gut gefallen, auch wenn der Zeichenstil recht markant und somit vielleicht etwas ungewohnt ist. Die Symbolsprache ist zudem leicht zugänglich, so dass ich im Endeffekt ganz zufrieden bin.
Ausstattung... ist bemerkenswert. Denn die Box ist auch das Spielbrett. Durch eine cleveren Magnet-Machnismus klappt man die Seiten der Box auf und die Innenseiten sind dann die Orte, auf denen sich die einzelnen Personen bewegen und treffen. Die beiden Hauptfiguren sind Pappaufsteller, die übrigen Personen sind auf Holzscheiben dargestellt und natürlich alles bekannte Charaktere aus Romeo und Julia. Außerdem sind all diese Charaktere – ebenfalls wie die einzelnen Orte – auf Karten verewigt, die beide Seiten zur Verfügung gestellt werden. Des weiteren sind noch ein paar Pappmarker, Holzmarker und Kurzanleitungen sowie Kapitelkarten und einzelne Ereigniskarten in der Box. Diese werden je nach gewähltem Schwierigkeitsgrad in jeder Partie unterschiedlich zusammen gestellt und kommen dann zufällig ins Spiel.
Ablauf... ROMEO & JULIA ist ein kooperatives 2‑Personen-Spiel. Eine Person spielt Julia und deren Familienclan, die andere Seite verfügt über Romeo & Co. Über drei Runden ("Akte") will man die beiden Verliebten mehrmals an einem gemeinsamen Ort zusammentreffen lassen. Immer wenn das passiert, wandert die Liebes-Marker eine Stufe nach oben – trifft man sich dabei an Julias Balkon, dann darf man sogar einen zusätzlichen Schritt vorangehen. Allerdings wird bei jedem erfolgreiche Voranschreiten auch ein Ereignis ausgelöst. Das sortiert dann bspw. die Personen auf den Orten neu oder verändert ein wenig die aktuellen Regeln. Je nach ausgewähltem Schwierigkeitsgrad sind diese Ereignisse gravierender oder nicht. Hat man so vor Ende der dritten Runde die finale zehnte Stufe erreicht, dann war man erfolgreich.
Die Partie kann allerdings vorher schon mit einer Niederlage enden. Denn immer wenn zwei Personen aus unterschiedlichen Lager an einem Ort zusammentreffen, steigt ein "Hass-Marker" auf einer entsprechenden Leiste. Trifft dieser auf das finale fünfte Feld, dann hat das Böse gesiegt und wir verloren. Dummerweise steigt dieser Marker auch, wenn die Scheibe "Allegorie des Hasses" mit einer anderen Person zusammen an einem Ort liegt.
Doch was macht man konkret? Beide Seiten spielen verdeckt aus einem beschränkten Angebot jeweils eine Personen- und eine Orts-Karte aus. Die Orts-Karte gibt an, wohin sich die eigene Figur bewegt und die Personen-Karte bestimmt die Begleitung. Das Problem daran ist, dass man nur sehr eingeschränkt miteinander kommunizieren darf. Somit versucht man stattdessen durch Deduktion und Intuition zu erraten, was die andere Seite vorhat.
Das gefällt mir nicht so gut: ROMEO & JULIA ist im Kern eine Logik-Rätsel. Man muss die einzelnen Figuren hin und her schieben und dabei noch die Besonderheiten der Ort bedenken. Allerdings ist es kein starres Rätsel, sondern es sind durch die vielen Karten doch einige Zufallselemente im Spiel. Das kann wiederum bedeuten, dass man vor eine Aufgabe gestellt wird, die im Nachhinein gar nicht lösbar ist. Je nach Schwierigkeitsgrad ist die Wahrscheinlichkeit dieses Zustands unterschiedlich hoch. Auf den einfachen Stufen ist das Spiel recht gut beherrschbar, die schwierigen Stufen können aber demotivieren. Hier muss also jede Gruppe ihr eigenes Level finden, mit dem sie Spaß hat. Man muss dabei aber schon eine gewisse Frusttoleranz aufbringen, wenn man wieder total unpassende Karten hat oder ein bestehender Plan durch eine Ereigniskarte durcheinander gebracht wird. Da werden doch einige negative Emotionen frei, die nicht alle mögen.
Der Spielverlauf ist zwangsläufig ein wenig eintönig, da man immer die gleichen Spielzüge macht. Karten ausspielen, Personen bewegen und die wenigen Aktionen ausführen. Hier darf man keine großen Überraschungen oder super-duper-mega Kettenzüge erwarten. Die Spannung ergibt sich aus dem Zeitdruck, rechtzeitig den Liebesmarker nach oben zu bringen, was auch meiner Meinung nach gut funktioniert und die Spielzeit von 15 bis 30 Minuten trägt. Dementsprechend kann ich gut mit den reduzierten Aktionsmöglichkeiten leben. Ich kann mir aber vorstellen, dass andere Gruppen hier gerne mehr Abwechslung hätten. Vielleicht durch neues Personal oder andere Ortseigenschaften. Jedoch gebe ich zu Bedenken, dass es dann noch schwerer sein würde, das Spiel vernünftig auszutarieren.
Das gefällt mir gut: auch wenn ich eigentlich zuerst über die Spielmechanik schreiben sollte, so möchte ich doch gleich am Anfang nochmals die Ausstattung und die geglückte Einbindung des Themas loben. Ich war anfangs etwas skeptisch, wie man dieses Liebesdrama spannend in ein Spiel transportieren kann. Aber das ist ROMEO & JULIA definitiv geglückt. Es sind viele Aspekte des Dramas enthalten, die einem vielleicht gar nicht auf dem ersten Blick auffallen. So stimmen bspw. die Funktionen der Amme oder auch von Bruder Lorenzo sehr gut mit deren Charaktereigenschaften des Dramas überein. Auch die Abnabelung vom vertrauten Umfeld, um die Liebe ausleben zu können, ist ein Aspekt, der gut im Spiel dargestellt wird. Zusätzlich sind noch ganz viele Anspielungen auf den Theaterbetrieb vorhanden. Allein schon das Öffnen der Box als Schatulle kann man wie das Heben des Vorhangs beim Theater ansehen. Die einzelnen Orte sehen wir Bühnenbilder aus, bei denen aufgrund des gewählten Materials die Personen auch optisch im Vordergrund stehen. Das von "Akten", "Szenen", "Auftritt" usw. gesprochen wird, habe ich nicht als gezwungen wahrgenommen, sondern als logische Konsequenz. Hier wird ein Theaterstück aufgeführt und wir sind dabei aktive Betrachter. Großes Kino Theater!
Aber auch spielerisch empfinde ich ROMEO & JULIA als reizvoll. Die Kommunikation ist äußerst eingeschränkt. Man kann lediglich einen Ort vorschlagen, an dem man sich treffen möchte. Mehr darf nicht gesagt werden! Und selbst diese spärliche Information darf man nur geben, wenn man überhaupt in Besitz eines Brief-Markers ist. Manchmal muss man somit erst einmal eine Runde drehen, um überhaupt wieder in den Besitz dieses Schreibmaterials zu kommen. Aufgrund dieser Einschränkung muss viel über Deduktion aber auch Intuition "gearbeitet" werden. Mit steigender Schwierigkeit ist es wichtig, dass man mit Zeit und Übung versteht, wie die gegenüberliegende Person denkt. ROMEO & JULIA spricht vom Thema Paare an und es zeigt sich, dass eine bestimmte Vertrautheit definitiv von Vorteil ist.
Wichtig ist, ein Überblick zu bekommen, welche Möglichkeiten die andere Seite hat. Da ist auch ein kleiner Mangel im Material zu nennen, denn es fehlt eine handliche Übersicht, wie sich die Personen-Karten von Romeo und Julia zusammensetzen. Glücklicherweise bietet die Anleitung auf der Rückseite diese Auflistung. Aber jeweils eine eigene Karte dafür wäre noch schöner gewesen. Diese Information ist nämlich elementar wichtig. Nur wenn ich weiß, dass bei Romeo bspw. drei der sieben Personenkarten die Allegorie des Hasses zeigen, kann ich mich in die Nöte des Romeo-Spielenden hinein versetzen. Ohnehin empfehle ich, dass man öfters mal die Rollen tauscht. Diese spielen sich zwar ähnlich, aber es ist trotzdem reizvoll, die unterschiedlichen Nuancen zu erleben.
Fazit: Anfangs sprach mich nur das ungewöhnliche Thema von ROMEO & JULIA an, mittlerweile reizt mich auch die Spielmechanik. Kooperative 2‑Personen-Spiele sind noch eine Ausnahme in der Spielelandschaft. Aber wenn diese Spiele so überzeugend sind wie ROMEO & JULIA, dann dürfen gerne noch viel mehr davon folgen.
Titel | Romeo & Julia |
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Autoren | Julien Prothière un Jean Philippe Sahut |
Illustrationen | David Cochard |
Dauer | 15 bis 30 Minuten |
Personenanzahl | 2 Personen |
Zielgruppe | mitdenkende Pärchen |
Verlag | Huch! |
Jahr | 2021 |
Hinweis | für die Besprechung wurde vom Verlag ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt |
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