Escape Tales: The Awakening von Jakub Caban, Bartosz Idzikowski und Matt Dembek – erschienen im KOSMOS Verlag
Immer wieder hört man aus unterschiedlichen Ecken den Ruf, dass Spiele erwachsener werden sollen. Ich bin da ein wenig zwiegespalten, denn ich habe viel öfters das Gefühl, dass Erwachsene lieber verspielter werden sollen. Aber unabhängig davon, frage ich mich, was damit gemeint ist. Eigentlich kann es ja nur die Themenwahl sein, denn ein typisch kindlichen Mechanismus gibt es meiner Meinung nach nicht (auch wenn viele Kinderspiele gerne Memo-Elemente beinhalten). Aber will wirklich jemand das Erstellen der Einkommenssteuer nachspielen? Eher nicht, oder? Also kommen noch Themen infrage, die vielleicht für Kinder und Jugendliche zu "hart" sind, wie bspw. der Tod. Wobei diesbezüglich VILLAGE vorgemacht hat, dass dieser als eine ganz natürliche Sache angesehen werden kann, die einfach vorhanden ist. Das ist aber immer leicht gesagt, wenn man selbst kein großes Leid erfahren hat. Vielleicht ist das der Ansatz, warum Spiele wie ESCAPE TALES: THE AWAKENING als erwachsen angesehen werden. Denn bei solchen muss man eine Vorstellung von der gefühlten Verzweiflung, der Angst und auch dem Zorn haben, um sich in den Protagonisten hinein versetzen zu können.
Thema... nachdem unsere Frau gestorben ist, erkrankte nun auch unsere Tochter an einer rätselhaften Krankheit. Die Verzweiflung ist groß, denn irgendwie muss ihr doch geholfen werden können. Da die klassische Schulmedizin keine Hoffnung geben kann, müssen andere Wege begangen werden. Wege, die Opfer von uns einfordern werden...
Illustrationen… sind von Magdalena Klepacz, Paweł Niziołek und Jakub Fajtanowski und gefallen mir recht gut. Es wird auf all zu viel Schnickschnack bei der Gestaltung verzichtet und die einzelnen gezeigten Szenen sind klar und deutlich gezeichnet. Auch die gewählte Symbolsprache funktioniert gut, so dass ich nur lobende Worte finde. Gut gemacht!
Ausstattung… ist geprägt von den vielen Karten (in der Summe sind es 149 Stück), die jeweils in ihrer Gruppe durchnummeriert sind. Diese Karten kommen in zwei verschiedenen Formaten daher. Die Raum-Karten sind verhältnismäßig groß und werden passend auf dem Spielplan abgelegt, so dass einzelne Elemente des Raumes über ein äußeres Raster mittels der beiliegenden Aktionsscheiben gekennzeichnet werden können. Der Großteil der Karten stellen aber die kleineren Entdeckungs-Karten und die wenigen Verzweiflungs-Karten dar.
All diese Karten würden uns aber ohne das Story-Buch nicht weiterhelfen. In diesem wird nicht nur die Geschichte weiter erzählt, sondern es gibt auch vor, welche Karten zu benutzen sind. Manche davon sind Rätsel-Karten. Deren Auflösung erfolgt über die begleitende Website, weswegen ein Smartphone, Tablet oder ein anderes internetfähiges Endgerät notwendig wird.
Ablauf… nach und nach schaut man sich bei THE AWAKENING einzelne Räume genauer an – kein Wunder, schließlich ist es eine weitere Verspielung der Escape-Room-Idee. Allerdings läuft dieses Mal im Hintergrund keine Zeit mit, sondern man hat pro Raum nur eine bestimmte Anzahl von Aktionsscheiben zur Verfügung. Diese legt man in Felder eines Rasters und wird darüber dann zu einem entsprechenden Abschnitt im Story-Buch geleitet. Wenn diese Aktionsscheiben nicht ausreichen, dann kann man sich über die Verzweiflungs-Karten weitere holen – allerdings wird das auch seinen Preis haben.
Die einzelnen Rätsel im Spiel sind jeweils mit Symbolen gekennzeichnet. Diese benötigt man für die Auflösung, die über die Website erfolgt. Dort ist auch ein Hilfesystem berücksichtigt, was glücklicherweise nicht mit irgendwelchen Nachteilen verbunden ist.
Das Spielende ist erreicht, wenn die Geschichte auserzählt ist. Hat man dafür nicht durchgehend Zeit, muss man den aktuellen Spielstand zwischenspeichern, was aber vorbildlich vom Spielmaterial unterstützt wird (extra Tabelle und genügend Zipptüten).
Das gefällt mir nicht so gut: Die Geschichte ist nicht aus einem Rosamunde Pilcher Roman entliehen. Was will ich damit sagen? Die Chance auf ein klassisches Happy End ist eher gering und das fand ich etwas unbefriedigend. Scheinbar mag ich es lieber kuschelig und harmonisch, denn mich haben die verschiedenen Enden der Geschichte etwas deprimiert zurück gelassen. Aber vielleicht ist dieses Gefühl gar nicht so schlecht und durchaus gewollt, da man sich somit noch mehr damit auseinandersetzt. Ich hatte jedenfalls danach noch ein wenig an der Geschichte zu knabbern. Sie ist natürlich alles andere als realistisch und man merkt ihr an, dass sie eher von einem Spiele- als von einem Buch-Autoren geschrieben wurde. Aber unabhängig davon, dass sie sich selbst ein wenig zu wichtig nimmt, hat mich die transportierte Stimmung durchaus gefangen genommen – allerdings hätte ich lieber einen Schlussakkord in Dur als in Moll gehabt.
Die Art der Rätsel ist mittlerweile bekannt. Da die Rätsel fast ausschließlich über die Karten daherkommen, sind sie im Vergleich zur EXIT-Reihe etwas eindimensional und kommen eher mathematisch-logisch als groß kreativ daher. Die Schwierigkeiten sind teilweise sehr unterschiedlich, was aber auch nur ein subjektives Empfinden sein kann. Bei einem Rätsel waren wir alle der Meinung, dass in der Auflösung ein Fehler enthalten ist. Allerdings war das jetzt auch kein echtes Problem, da die Nutzung der Hilfe nicht mit einem Malus verbunden ist und man diese dann auch mal nutzen kann. Man verliert lediglich reale Lebenszeit beim erfolglosen Rätseln.
Trotz großer Raumkarten ist es teilweise schwer die vielen kleinen Details zu erkennen. Die sind aber durchaus von Belang, da man nur begrenzt Aktionsscheiben zur Verfügung hat. Deswegen hilft es, die Untersuchung toter Ecken zu vermeiden, weswegen man sich die Raumkarten schon genauer ansehen sollte. Diese kann man aber nur gut in die Hand nehmen, wenn noch keine Scheiben darauf liegen. Die Rätsel kommen auf noch kleineren Karten daher, so dass sie meist eher von nur zwei Leuten gelöst werden, während die anderen versuchen, diesen über die Schulter zu schauen. Somit finde ich eine kleinere Spieleranzahl günstiger als eine größere Gruppe.
Den Großteil des Spielreizes erzeugt THE AWAKENING über die Geschichte. Dafür muss entsprechend viel Text (vor)gelesen werden. Würde es nicht die tolle App zu den ADVENTURE GAMES geben, käme ich gar nicht auf die Idee, dass mir ein Vorleser fehlen würde. Macht er nun aber. Ja, ja, der Fluch der guten Tat. Zusätzlich ergibt sich noch ein weiteres Problem. Man muss im Laufe des Spiels Entscheidungen treffen und macht dies logischerweise ohne das spezielle Vorwissen, was der Protagonist aber haben sollte. So etwas fühlt sich für mich immer unvollständig bzw. falsch an. Wie soll ich mich für eine Sache entscheiden, wenn ich nur rudimentäre Kenntnisse darüber habe. Welcher Gegenstand war für meine Tochter wichtiger: X oder Y? Das ist in meinen Augen die falsche Entscheidungsebene, denn ich habe keine Chance, dass halbwegs vernünftig beurteilen zu können. Hilfreich wäre es übrigens, wenn die Regel auch auf die Karten hinweist, die eine Entscheidung hinsichtlich der Geschichte verlangen (diese enthalten das Zauberwort "wählt"). Durch das etwas unglückliche Layout und vielleicht auch aufgrund der Sogwirkung der Geschichte hat es ein Gruppe anfangs verpasst, diesen Entscheidungspunkt wahrzunehmen und immer sofort den erst möglichen Abschnitt im Story-Buch gelesen.
Das gefällt mir gut: Wer nun allerdings denkt, dass ich an THE AWAKENING keinen Spaß hatte, der irrt. Denn auch wenn mir manche Kleinigkeiten nicht gefallen haben, im Großen und Ganzen fühlt man sich gut unterhalten – wenn man sich auf die Geschichte einlässt. Wer lediglich ein paar Rätsel lösen will ist sicherlich bei den EXIT-Spielen oder auch, mit geringerem Schwierigkeitsgrad, bei den Deckscape-Boxen besser aufgehoben. Die Kernkompetenz von THE AWAKENING ist die Einbindung der Rätsel in eine fordernde Geschichte. Das gelingt auch gut. Man hat selten das Gefühl, dass ein Rätsel irgendwie zur Geschichte draufgeklatscht wurde, sondern die meisten erscheinen thematisch sinnvoll und nachvollziehbar. Natürlich offenbaren sich in der Geschichte einige inhaltliche Fragezeichen, wenn man das ganze von außen betrachtet. Allerdings fällt einem das beim Spielen nicht auf, da man doch recht schnell in der Geschichte gefangen ist und ständig wissen will, wie es weiter geht.
Das Lösungs- und Hilfesystem über die Webseite ist dabei sehr gut gelungen. Ein Vorteil daran ist, dass sich jeder den Schwierigkeitsgrad selbst aussuchen kann. Die Auflösungen könnten teilweise etwas ausführlicher sein, aber insgesamt passt das alles schon recht gut. Die Handhabung ist wesentlich einfacher als wenn das Ganze mit Karten organisiert werden müsste. Außerdem ist man etwas freier bei der Gestaltung der Lösung, da nicht alles in ein dreistelligen Zahlencode oder ähnliches überführt werden muss. Der Vorteil über die Website ist zudem, dass man unabhängig von einem bestimmten Betriebssystem ist. Allerdings benötigt man dafür ein elektrisches Endgerät am Spieletisch, was bei einigen sicherlich zu Punktabzug führen wird. Ich sehe es aber pragmatisch: ich bevorzuge das gewählte System, da somit auch ein unnötiger Rohstoffverbrauch eingespart werden kann.
Wobei ein weiterer Vorteil an THE AWAKENING sicherlich ist, dass man nichts zerstören muss. Somit kann man das Spiel problemlos anderen weitergeben – oder man spielt es nochmals, um dann andere Entscheidungen zu treffen. Wobei man sich da nicht all zu viel vormachen sollte. Im ersten Moment lockt das sehr, da man einige Raumkarten nicht zu Gesicht bekommen hat und somit auch manche Rätsel. Aber im Endeffekt bestehen doch nur wenig Verästelungen und man wird sicherlich nicht nochmals deswegen eine komplette Partie von etwa vier Stunden spielen wollen. Die meisten Unterscheidungen treten lediglich bei den alternativen Enden auf, wofür sich aber nicht ein komplettes Durchspielen lohnt. Deswegen mein Ratschlag: lieber einmal richtig in die Geschichte eintauchen und mit aller Konsequenz spielen als mehrmals schnell durch huschen zu wollen, um dann alles mal gesehen zu haben.

Dabei lohnt es sich, sich Zeit zu nehmen. Der Spielmechanismus mit den Aktionsscheiben ermöglicht es, in Ruhe abzuwägen, was man machen will. Einerseits verführt er dazu, sehr geradlinig herangehen zu wollen. Andererseits kann man über erfüllte Zwischenziele (durch erfolgreich gelöste Rätsel) neue Aktionsscheiben hinzugewinnen, so dass sich der ein oder andere Umweg auch lohnt – zumal man dadurch auch mehr Rätsel zu Gesicht bekommt. Trotzdem zwingt einen der Mechanismus, Prioritäten zu setzen. Man kann nicht alles unter die Lupe nehmen und muss sich entsprechend entscheiden. Auch bei der Fortführung der Geschichte gibt es unterschiedliche Entscheidungspunkte. Dann sind allerdings eher moralische Fragen in der Gruppe zu erörtern (bspw. wem man mehr glaubt).
Fazit: ESCAPE TALES: THE AWAKENING fügt dem aktuellen Escape-Spieltrend eine weitere Komponente hinzu. Für mich stellt es ein Mittelding zwischen den die Rätsel in den Vordergrund stellenden EXIT-Spielen und den storybasierten ADVENTURE GAMES dar. Das Gesamtpaket weiß zu überzeugen und ich werde da ganz sicherlich auch die nächste Erzählung (LOW MEMORY) nachspielen wollen – in der Hoffnung, dass diese ein wenig hoffnungsvoller endet.
Titel | Escape Tales: The Awakening |
Autor | Jakub Caban, Bartosz Idzikowski und Matt Dembek |
Illustrationen | Magdalena Klepacz, Paweł Niziołek und Jakub Fajtanowski |
Dauer | 180 bis 360 Minuten |
Spieleranzahl | 1 bis 4 Spieler |
Zielgruppe | erwachsene Rätselfreunde |
Verlag | KOSMOS |
Jahr | 2019 |
Ich bedanke mich beim KOSMOS Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars. Ich bin mir sicher, dass durch diese Bereitstellung meine Meinung nicht beeinflusst wurde. Die Besprechung spiegelt meine gemachte Erfahrung wider.
Kleine Anmerkung: Die Raumkarten kann man immer gut anschauen, da die Aktionsscheiben auf dem (kleineren) Raumplan, nicht auf den (großen) Raumkarten, platziert werden.
Habe ich das tatsächlich falsch gemacht – wenn ich das so lese und darüber nachdenke, dann lautet die Antwort wohl "ja". Da haben wir es uns wohl wirklich unnötig schwer gemacht. Somit vielen Dank für den hilfreichen Hinweis – und Asche über mein Haupt!