Selbst wenn ich nur eine kleine Messeberichterstattung mache, ohne ein Fazit zur SPIEL 2023 in Essen wäre eine solche nicht komplett. Allerdings muss ich dabei aufpassen, dass ich nicht all zu viel aus den Vorjahren wiederhole: die Aspekte Naturthemen, höhere Preise und der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit bleiben unverändert. Aber natürlich hat die SPIEL 2023 auch neue Beobachtungen mit sich gebracht...
alles neu macht der Oktober
Komische Überschrift, also lieber schnell ein korrektes Sprichwort: Neue Besen kehren gut! Denn was die neue Leitung der SPIEL in Teamarbeit anpackte, hat sich größtenteils als Verbesserung erwiesen. Die vorgenommene Neuordnung der Hallen überzeugt, wurde dabei doch meiner Meinung nach der Spagat geschafft, den besonderen Charme der SPIEL zu erhalten. Weiterhin sind kleine Verlage neben großen angesiedelt und es zeigt sich die Vielfalt der Brettspielwelt. Natürlich gibt es dabei auch wenige Verlage, die mit dem neuen (oder auch alten) Standort nicht ganz so zufrieden waren. Aber der Grundtenor, den ich vernommen habe, was ausgesprochen positiv.
Aber, um noch ein Sprichwort rauszuhauen: wo gehobelt wird, da fallen auch Späne! Denn die ein oder andere Neuerung war eher unglücklich. Die Neuheitenshow war zum Beispiel eine Katastrophe! Auf viel zu engem Raum sollten die Verlage die neugierige Masse befriedigen. Da gab es oftmals kaum Platz, um sich gegenseitig auszuweichen und so musste man sich wie ein Lindwurm um die vollen Tische schlängeln – und sollte dabei bitte nicht neugierig stehenbleiben. Um das aber noch zu toppen, fand parallel auf der Bühne die offizielle Verleihung des innoSpiel und des Deutschen Spielepreises statt und man war einer Doppelbeschallung ausgesetzt. Das hat weder den verdienten Preisträgern noch den Verlagen in Nähe der Bühne genutzt. Ich bin mir jedenfalls sehr sicher, dass sich diesbezüglich im nächsten Jahr etwas ändern wird. Warum nicht die Preisverleihung direkt mit der anfänglichen Pressekonferenz verbinden und dann dort auch für etwas mehr Spannung und Liebe für die Spiele sorgen? Mir tat bei der aktuellen Verkündung der Gewinner des Deutschen Kinderspielpreises leid (MYSTERIUM KIDS), weil dieser eher zufällig durch eine zu früh eingeblendete Präsentationsfolie verkündet wurde und dann so lediglich im Nebenbei gewürdigt wurde.
Aber um es nochmals abschließend richtig einzuordnen: ich finde es gut, dass Änderungen ausprobiert werden. Nicht alles wird auf Anhieb klappen und manchmal muss man etwas versuchen, um dann zu merken, dass es suboptimal war. Nun gilt es aus den Fehlerchen zu lernen und das Konzept weiter zu optimieren. Der eingeschlagene Weg ist aber definitiv der richtige!
das Digitale in der analogen Welt
Die neue begleitende App zur SPIEL macht ebenfalls schon vieles richtig – hat aber zugleich auch noch jede Menge ungenutztes Potenzial. Trotzdem finde ich es gut, dass dieses Angebot zur Verfügung gestellt wird. Vielleicht kann ich dann in Zukunft tatsächlich auf den Ausdruck meines Parktickets verzichten, weil dann die Scanner den Code auch vom Smartphone-Display lesen können. So musste ich noch analog unterwegs sein. Aber die Zeiten, in denen Leute mit ellenlangen Listen und Hallenplan-Ausdrucken unterwegs sind, neigt sich definitiv dem Ende zu.
Bei den spielerischen Neuheiten hat mich dahingegen gewundert, wie wenig Zwitter-Spiele vorgeführt wurden. Nur ganz vereinzelt gab es Werke, die die digitale mit der analogen Welt verbinden wollten – und der Zuspruch danach war sehr überschaubar. So ganz langsam scheint sich in die Köpfe der Machenden die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, dass viele Menschen das analoge Spiel lieben, weil es eben eine Abgrenzung zur immer digitaleren Welt ist. Ich will bewusst keine elektronischen Geräte benutzen müssen, wenn ich mich an den Spieletisch setze. Und ich behaupte, dass ich mit dieser Meinung nicht alleine bin.
Doch was ist der neueste Trend? Keine Ahnung, weil ich keinen wirklichen ausgemacht habe. Mir fiel lediglich auf, dass recht viele Spiele mit Sanduhren zu sehen waren – und diese unterstützen meine These von eben, sind es eben keine digitalen Timer, die wir kontrollieren müssen.



weiterhin mehr Diversität wagen
Eigentlich wollte ich keine Themen aus dem letzten Jahr wiederholen. Aber bei diesem Aspekt mache ich eine Ausnahme. Denn leider sehe ich kaum Fortschritte, wie neben Nachhaltigkeit auch die Themen Inklusion und Diversität gefördert werden. Ich verstehe einfach nicht, wieso sich unsere Gesellschaft so schwer damit tut. Es wird mir nichts weggenommen, wenn anderen etwas zusätzlich angeboten wird. Ich fände es einfach schön, wenn die SPIEL noch bunter wird. Das Publikum war wieder äußerst homogen besetzt und ich sehe kaum den Willen, neue Gesellschaftsschichten anzusprechen. Noch immer suche ich vergebens beiliegende Anleitung in türkisch oder arabisch. Ist das wirklich kein Markt? Kann ich mir kaum vorstellen, denn es wird doch in allen Kulturkreisen gespielt. Vielleicht sollte man von Seiten der Messe so etwas wie ein Gast-Land einführen, wie es die Buchmesse in Frankfurt jedes Jahr vormacht.
Leider macht sich diese fehlende Diversität auch bei den Themen bemerkbar. Diese wirken in der Masse schon sehr austauschbar. Ich frage mich, wie in 20 Jahren die heutige Zeit betrachtet wird: überall geht die Menschheit unter und es muss eine neue Zivilisation aufgebaut werden. Oder wir flüchten uns gleich in Phantasiewelten, nur damit keiner Gruppe auf die Füße getreten wird. Es fehlt auch hier ein wenig der Mut, mal besondere Themen zu wagen. Viel zu selten werden Themenfelder wie Politik oder die Weltwirtschaft aufgegriffen. WEIMAR von Matthias Cramer hat auch deswegen zurecht eine so hohe Aufmerksamkeit erhalten, weil es sich Sachen traut, die mittlerweile viel zu selten geworden sind.
Plagiate und Parallelentwicklungen
Aufgrund unerledigter Geschäfte einer gewissen Chaos-Truppe wurde das Thema Plagiate im Vorfeld in manchen Kreisen recht heiß gekocht. Auf der SPIEL war das kein großes Thema. Der entsprechende Stand war unauffällig und für den Großteil der Besuchenden war das alles kein Thema. Trotzdem waren meine Antennen in dieser Richtung sensibilisiert. Allerdings habe ich lediglich bei einem recht großen Verlag ein Spiel gesehen, welches doch sehr an OUTBURST erinnerte. Doch da dieses Spiel kaum Nachfrage generiert hat, war entsprechend auch keine Aufregung vorhanden. Die unvermeidlichen MENSCH ÄRGERE DICH NICHT und MONOPOLY "Weiterentwicklungen" durften natürlich auch nicht fehlen. Den ein oder anderen Autoren habe ich aber mal auf das Thema angesprochen. Die fast einhellige Meinung war: ist ärgerlich, aber darüber aufregen lohnt sich aus mehreren Gründen nicht. Ein Grund ist, dass sich erfahrungsgemäß das Original immer besser und nachhaltiger verkauft als das Plagiat. Zudem ist ein Gang vor das Gericht mit zu vielen Unsicherheiten verknüpft. Zu dem Thema hätte ich aber gerne auch die Meinung von Reiner Knizia gehört.
Viel spannender fand ich dahingegen, manche Parallelentwicklungen zu erkennen. So hat ein spanischer Autor während der Pandemie das Computer-Spiel Dorfromantik gespielt und war der Meinung, dass sich daraus doch wunderbar ein Brettspiel machen ließe. Stimmt! Bei HEXTREMADURA fehlt aber die dahinter liegende Lizenz und zusätzlich spielt es sich trotz auf der Hand liegenden Gemeinsamkeiten anders. Als spannende Kuriosität musste ich es mir aber mitnehmen. So dient das Spiel als perfektes Beispiel, dass natürlich Parallelentwicklungen entstehen können. Zusätzlich können Spiele auf bekannte Mechanismen beruhen, die dann weiter entwickelt werden (so kann man die Grundzüge von BIER PIONIERE anhand von den drei bekannten Spielen VITICULTURE, LA GRANJA und ARCHE NOVA schnell erklären – die Details sind dann aber doch deutlich unterschiedlich und vermitteln ein anderes Spielgefühl). Selbstredend sollten dann die Einflüsse offen benannt werden, wie das bspw. Thomas Spitzer bei BIER PIONIERE vorbildlich gemacht hat.
eine Messe der Spiele – und der Menschen
Ich habe es an anderer Stelle schon geschrieben: dieses Jahr habe ich viel zu selten gespielt, weil ein Termin nach dem anderen anstand. Das hat mich einerseits geärgert, andererseits aber auch gefreut. Denn so habe ich nun wieder deutlich mehr Menschen kennenlernen dürfen. Zumal diese gemeinsamen Treffen bei mir mittlerweile eine größere Freude auslösen als vielleicht noch eine weitere Neuheit zu spielen. Idealerweise verbindet man aber beides, was ich im nächsten Jahr gerne wieder vermehrt machen möchte.
Aber die SPIEL ist schon immer mehr als nur eine Neuheiten-Messe gewesen. Das merke ich bspw. immer, wenn ich auf der Spielwarenmesse in Nürnberg bin. Dieses Jahr waren es auf der SPIEL am Ende etwa 193.000 Besucher und Besucherinnen. Eine Zahl, die weitaus höher ist als in den Nach-Corona-Zeiten war – und wir kommen der Spitze aus 2019 schon wieder sehr nahe. Diese Menschenmengen spürt man tatsächlich, da immer mal wieder Stauungen entstehen und insbesondere am Abhol-Donnerstag die Halle 3 an manchen Stellen ziemlich lahm gelegt haben. In den neuen Hallen 4 bis 6 fühlen sich diese Massen durch das verbesserte Licht- und Lüftungskonzept sowie den breiteren Gängen weniger eng an als in den Hallen 1 bis 3. Trotzdem muss man sich im Vorfeld schon bewusst sein, dass viele Menschen auch Lautstärke und Enge bedeuten.
Was mir dieses Jahr aufgefallen ist, sind die vielen bunten T‑Shirts und Jacken von entweder (neuen) Medienschaffenden oder Spiele-Treffs. Daran merke ich, dass es immer leichter ist, Inhalte über Spiele zu erschaffen. Oftmals fehlt mir dabei zwar der Überblick und beim diesjährigen Meet & Play habe ich mich etwas wie Statler & Waldorf gefühlt. Allerdings sehe ich das Ganze eher als gutes Zeichen. Es ist doch schön, wenn sich Menschen mit dem Hobby Brettspiel identifizieren und entsprechend ausdrücken können. Dadurch entstehen neue Verbindungen und insgesamt wird die Welt der Brettspiele breiter nach außen vertreten.
Und so ende ich wie im letzten Jahr, in dem ich meinen Dank an alle Beteiligten ausspreche. Ich kann mir gut vorstellen, wie viel Arbeit so eine Messe bedeutet. Wie viel Stress das im Vorfeld aber auch während der Durchführung ist. Man spürte aber zu jeder Zeit das viele Herzblut für die Spiele und die Spielenden. Danke dafür!
Kommentar hinzufügen