Mission ISS von Michael Luu – erschienen bei Schmidt Spiele
MISSION ISS stand ganz oben auf meiner Interessen-Liste der diesjährigen Frühjahrs-Neuheiten. Grund dafür war, dass hier in Darmstadt durch die ESOC die Weltraumforschung und die ISS immer ein gewisses Gesprächsthema sind – zumal ich auch ein paar Leute kennen, die dort arbeiten.
Thema... als Team bauen wir gemeinsam nach und nach die ISS aus. Dabei werden neue Module angeschlossen und Forschungsaufträge durchgeführt. Allerdings arbeiten wir dabei ziemlich unter Zeitdruck. Nein, der Sauerstoff geht uns nicht aus. Aber wir dürfen der Geschichte nicht hinterher laufen und müssen deswegen bestimmte Meilensteine erreichen, damit nicht frühzeitig die Partie beendet ist.
Illustrationen... sind eine Gemeinschaftsarbeit von Claus Stephan und Martin Hoffmann. Dabei wird die ISS eindrucksvoll dargestellt. Die weiteren Elemente sind recht nüchtern dargestellt, so dass man sich auf die Aufgaben konzentrieren kann und nicht durch Grafik-Spielereien abgelenkt wird. Die Verbindungslinien zwischen den Modulen hätten aber gerne deutliche hervortreten dürfen, damit man besser erkennt, wo sich die Astronauten befinden. Auch die Symbolsprache ist nicht ganz eingängig, so dass man immer wieder das Beiblatt zur Hand nehmen muss.
Ausstattung… ist ziemlich umfangreich, so dass man zu Spielbeginn erst einmal mit sortieren beschäftigt ist. Die einzelnen ISS-Modulteile wollen geordnet gelagert werden, die Modulkarten sind auszulegen und mit Schwierigkeitsmarkern zu bestücken, Vorfallkarten und ‑marker sind bereit zu legen, Forschungsplättchen und ‑würfel ebenfalls. Vor der ersten Partie sind noch die sechs Astronauten zusammen zu bauen und mit drei unterschiedlichen Kommandoscheiben zu versehen. Diese korrespondieren mit den Kommandokarten, die gleichmäßig und zufällig unter den Mitspielenden verteilt werden. Dann gibt es auch noch Trainingsmarker und die drei Robonauten. Ach ja, und mit dem ISS-Marker wird auf dem Erdtableau noch die fortgeschrittene Zeit dokumentiert.
Ablauf… nachdem der Aufbau absolviert ist, gibt man den Astronauten auf der ISS Kommandos. Anfangs sind dort nur drei Astronauten aktiv, es können aber im Spielverlauf noch weitere drei dazu kommen. Die Astronauten sind übrigens nicht einzelnen Spielenden zugeordnet, sondern können von allen benutzt werden. Das Besondere an MISSION ISS ist aber das Aktivierungssystem der Karten. Denn wenn man am Zug ist, nimmt man eine eigene Karte und eine von einer mitspielenden Person (weswegen die möglichen Karten auch immer offen ausliegen) – und dreht diese nach Nutzung um. Hat man selbst keine sichtbare Karte mehr zur Verfügung, muss man die Schicht beenden und deckt alle Karten wieder auf. Allerdings muss man dann den ISS-Marker auch ein Jahr weiterbewegen. Dort werden dann unter Umständen Vorfallkarten aktiviert und außerdem wird in manchen Jahren überprüft, ob ausreichend neue Module gebaut wurden oder nicht. Hat man das Zwischenziel nicht erreicht, darf man sich noch einen motivierenden Spruch anhören und versucht es ein anderes Mal wieder.
Somit ist also Modul-Bauen angesagt, was auch eine von vier möglichen Kommando-Aktionen ist. Die anderen sind bewegen, forschen und trainieren. Bewegen ist klar, forschen ist wichtig, denn wenn zu viele Forschungsaufgaben noch offen sind, darf man nicht an der ISS weiterbauen. Beim Forschen muss man die auf den Aufgaben liegenden Würfel entsprechend der Aktionspunkte reduzieren, um sie letztendlich zu eliminieren. Durch das Trainieren wiederum verbessert man bei den Schichtwechseln die Astronauten. Auch das ist wichtig, weil das Bauen immer aufwändiger wird. Da ist es von Vorteil, dass sich die Astronauten immer unterstützen können, wenn sie zusammen in einem Modul stehen. Zusätzlich kann man auch die Robonauten als Unterstützung nutzen.
Das gefällt mir nicht so gut: Leider kommt das besondere Thema nicht wirklich durch. Das ist schade und auch ein wenig unerwartet, da ich dachte, dass die Spielidee durch die besondere Entwicklungsgeschichte im Vordergrund stehen würde. Vielleicht habe ich auch falsche Vorstellungen, aber ich habe mich zu keiner Zeit ansatzweise als Astronaut der ISS gefühlt. Ich gehe sogar noch weiter: in meinen Augen würden die Spielmechaniken in einem anderen Setting deutlich besser passen. So stelle ich mir Fragen wie z.B.: Warum gibt es diese Zeitbeschränkung? Was hat das mit den Arbeiten auf der ISS zu tun? Wo kommen eigentlich die neuen Module her? Wäre es nicht sinnvoller gewesen, die Forschungsaufträge an bestimmte Orte zu koppeln? Wo sind die versprochenen All-Spaziergänge, die mir u.a. das Cover versprechen? Ich verstehe lediglich, dass man aufgrund noch nicht erfüllter Forschungsaufträge nicht die Zeit hat, zusätzlich noch weiter an der ISS zu bauen. Dieser gesamte "Zeit-Motor" hätte meiner Meinung nach viel besser bspw. in ein Tauch-Szenario gepasst. Darin hätte man dann mit der Sauerstoffknappheit zu kämpfen und könnte nach und nach neue Teile eines alten Wracks erkunden. Dort würde man dann neuen Sauerstoff finden und die Forschungsaufträge wären dann vielleicht zu hebende Schätze. Selbst das Unterstützen bei der Bewegung könnte man ähnlich gut erklären wie in der Schwerelosigkeit.
Vielleicht hatte ich aber auch von Anfang an eine falsche Erwartung. Ich sah den Titel, das Cover, den Verlag und habe mir deswegen ein fluffiges kooperatives Familienspiel erhofft. Allerdings ist MISSION ISS genau das nicht. Die Spielmechanik ist zwar nicht zu komplex, aber man muss doch einiges im Blick behalten. Und man muss Planen! Zufallselemente sind lediglich beim Aufdecken neuer Forschungsaufträge und bei der Überprüfung vorhanden, wie gut man nun den letzten Bauabschnitt betätigt hat. Der Rest ist Kalkulation, wie man am effizientesten mit den offenen Kommandokarten und den Fähigkeiten der Astronauten umgehen soll. Das ist für planende Menschen sicherlich sehr reizvoll, aber mitspielende Kinder waren davon schnell überfordert. Somit zeigt sich recht schnell ein Gefälle und es besteht die große Gefahr, dass ein Alphaspieler das Geschehen an sich reißt. Im Grund genommen ist MISSION ISS eine fordernde Denksportaufgabe mit vielen Variablen – es fehlt dabei leider etwas das Abenteuer, das Spielerische.
Dieses Technokratische zeigt sich auch am Spielziel. Wir versuchen die ISS vollständig zu bauen, wobei uns immer ein paar Knüppel zwischen die Beine geworfen werden. Haben wir die ISS vollständig erbaut, hält sich der Wiederspielreiz in Grenzen, da man das Gefühl hat, alles erreicht und erlebt zu haben. Bis dahin muss man damit leben, "versagt" zu haben – und manchmal schneller, als das einem lieb ist. Man bekommt zwar noch aufmunternde Worte zu hören, aber wirklich motivierend ist das nicht. Ein wenig kennt man das von HANABI, nur ist das ein recht schnell gespieltes Kartenspiel und kein anspruchsvolles Kennerspiel mit entsprechender Spieldauer. Ich kann ich mich nur wiederholen, ich glaube mit einem anderen Thema könnte ich mit dieser Art Bewertung besser leben (in dem man bspw. Schätze zählt).
Außerdem bin ich der Meinung, dass man vielleicht mit einer Kampagne oder einem Stufensystem besser gefahren wäre. Wenn man bspw. am Anfang das "leichte" Spiel wählt und dann bis zum Jahr 200X entsprechend viele Module fertig gestellt haben muss. Hat man das geschafft, freut man sich und will dann das "mittlere" Spiel angehen, bei dem dann mehr Module zu schaffen sind. So hätte man immer ein klares Ziel vor Augen, auf das man hinspielt, und nicht diesen leicht diffusen Mischmasch. Noch besser wäre natürlich eine Art Kampagne, bei der man dann vielleicht die erforschten Dinge sogar langfristig nutzen kann.
Die Problematik des Alphaspieler-Gehabe wird übrigens durch das Material noch verstärkt. Denn MISSION ISS ist ziemlich unübersichtlich. Die massigen Astronauten sehen toll aus, verdecken aber die Sicht auf die Module, die Würfel oder sogar auf Teile der eigenen Fähigkeitswerte. Dauernd kämpft man darum, die ganzen Informationen auch erkennen zu können. So gut die Astronauten-Figuren auch gemeint sind, aber vielleicht wäre eine andere Konstruktion sinnvoller gewesen. Bspw. könnte man mit farbigen Gürteln, die man über die Figur stülpt, anzeigen, wie stark diese in den einzelnen Bereichen ist. Ohnehin benötigt man nicht zu unterschätzenden Platz für das Spiel. Die ausgebauten Module nehmen viel Fläche ein, zusätzlich muss man aber auch noch diverse Auslagen bilden.
Das gefällt mir gut: Die Spielmechanik von MISSION ISS ist sehr reizvoll. Ständig ist abzuwägen, welche Karten man nun spielt und vor allem, welche Karten man von den Mitspielenden nimmt – schließlich können diese dadurch ungewollt ziemlich unter Druck gesetzt werden. Genial ist auch, wie der Zeitzähler mit diesem Kartenverbrauch korrespondiert. Es gab öfters Momente, bei denen ich aufgeben wollte – bis mir dann klar gemacht wurde, dass durch das Schichtende bzw. den Modulbau auf einmal wieder neue Möglichkeiten zur Verfügung stehen. Manchmal kann es dahingegen jedoch Sinn ergeben, früh jemanden die Karten wegzunehmen, damit die dort umgedrehten wieder spielbar werden. Das alles richtig Einzuschätzen ist in gewisser Weise Arbeit, denn man muss schon recht genau die einzelnen Schritte durchdenken. Geht dann aber der Plan auf, erfüllt einen das mit befriedigendem Stolz.
Recht schnell erlebt man auch, wie fein verwoben die einzelnen Elemente sind. Durch das Erfüllen der Forschungsaufträge spielt man wichtige Boni frei. Deren Wirkungen sind unterschiedlich stark, aber schließlich ist auch der Aufwand unterschiedlich groß. Das skaliert sehr gut! Zusätzlich erhält man durch den Bau der Module einmalige Joker-Kommandokarten, durch die wiederum die ein oder andere heikle Situation gelöst werden kann. So kann man recht erfolgreich die Spielzüge verlängern und die Zwischenziele sind doch erreichbar. Diese setzen uns übrigens angenehm unter Druck und fördern ungemein die Spannung.
Insgesamt merkt man deutlich, wie viel Herzblut in dieses Projekt geflossen ist. So wird glücklicherweise auch vom Verlag genügend Raum zur Verfügung, so dass vieles in der Anleitung bzw. einem Beiblatt über die ISS erklärt wird. Aber es ist nicht nur trockene Wissensvermittlung angesagt. Auch der Humor kommt nicht zu kurz. Die Beschreibung der einzelnen Forschungsplättchen haben zu einige Schmunzlern und kopfnickender Zustimmung geführt – Pizza geht wirklich immer!
Fazit: MISSION ISS litt bei mir unter der falschen Erwartungshaltung. Statt eines abenteuerreichen kooperativen Familienspiels ist es ein Hirn verzwirbelndes Kennerspiel, bei dem ganz viel geplant werden muss. Das ist einerseits anstrengend, kann andererseits aber auch sehr erfüllend sein – wenn man die richtige Gruppe hat oder gerne alleine tüftelt. Am besten gefällt mir der tolle Kartenmechanismus, den ich gerne einmal in einem anderen Gewand wieder erleben möchte.
Titel | Mission ISS |
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Autor | Michael Luu |
Illustrationen | Martin Hoffmann und Claus Stephan |
Dauer | 60 bis 90 Minuten |
Personenanzahl | 1 bis 4 Personen |
Zielgruppe | kooperative Kennerspielspielrunden |
Verlag | Schmidt-Spiele |
Jahr | 2021 |
Hinweis | für die Besprechung wurde vom Verlag ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt |
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