Psychiatrie des Schreckens von Martin N. Andersen, Alexander Peshkov und Ekaterina Pluzhnikova – erschienen bei Huch!
Achtung, Sommerschlussverkauf: Willst du Teil 1 der PSYCHIATRIE DES SCHRECKENS haben? Dann bekommst du auch gleich Teil 2 mit dazu! Leider gilt das nur für die Besprechung hier im Blog – im Handel muss man entweder beide Teile einzeln kaufen oder nimmt gleich den entsprechenden Schuber. Aber wer sich nur Teil 1 anschafft, sei gewarnt: er endet im vielfachen Cliffhanger.
Thema... in der Psychiatrie des Dr. Dark (!) geht einiges nicht mit rechten Dingen zu. Aus der Sicht unterschiedlicher Protagonisten erleben wir nun eine ganz besondere Nacht, in der einiges aus den Fugen gerät. Dabei kann ich aber gleich beruhigen: der Titel klingt reißerischer als die eigentliche Geschichte dann ist. Denn die PSYCHIATRIE DES SCHRECKENS ist nicht etwa ein verloren gegangenes Drehbuch von Quentin Tarantino und Zombies kommen auch nicht darin vor.
Illustrationen… sind von einem ganzen Team (Pavel Korobkov, Nadezhda Mikhailova, Victoria Kochkina, Victoria Volina-Lukian, Dmitry Krasnov, Maxim Suleimanov, Anastasia Stupak und Anstasia Durova). Glücklicherweise merkt man das aber beim Spielen nicht, da alles aus einem Guss daher kommt. Zusätzlich sind die Illustrationen sowie die gesamte Aufmachung mit Aktenordnern und Raumtüren sehr stimmungsvoll, so dass das Thema gut transportiert wird.
Ausstattung… die beiden Teile kommen in einzelnen Boxen daher. Diese beinhalten dann ganz viele Karten und etwa einige verschlossene Umschläge, die größtenteils als Türen daher kommen und mit zusätzlichem Material angehäuft sind. Zusätzlich sind neben einem Fluchtplan auch drei Mini-Büchlein in der Box, die Tipps zu den Rätseln geben – aber zur Not auch die Lösung parat haben.
Die Karten sind mit vierstelligen Zahlen durchnummeriert und sollen nur von der Vorderseite angesehen werden, da sich auf der Rückseite die wichtigen Informationen befinden. Zusätzlich gibt es einen kleinen Stapel mit Alternativkarten. Diese ersetzen dann je nach gewählten Handlungsstrang die Karten aus dem eigentlichen Rätsel-Stapel.
Bei der PSYCHIATRIE DES SCHRECKENS wird kein Material dauerhaft zerstört oder verändert. Deswegen ist auch noch eine kleine Liste vorhanden, die angibt, wie man das Spiel wieder in den ursprünglichen Status zurück setzen kann.
Ablauf… In jeder Box sind 5 individuelle Geschichtsstränge vorhanden. Bei jedem Strang spielt man in Echtzeit und versucht dabei unter den klassischen 60 Minuten zu bleiben. Zu Beginn eines Handlungsstrangs zieht man die entsprechende Karte. Diese führt einen in die Geschichte ein und erklärt, welche Karte man nun lesen soll – und so geht es die ganze Zeit weiter. Wenn keine Kartennummer explizit genannt wird, ist es Zeit, ein Rätsel zu lösen – für das dann überraschenderweise als Lösung eine vierstellige Nummer benötigt wird (und womit man also die nächste zu spielende Karte angezeigt bekommt). Alle Karten besitzen deswegen ein eigenes Symbol für den aktuellen Handlungsstrang, damit man nicht unabsichtlich einen anderen Strang weiterspielt.
Am Ende eines Stranges gibt es dann eine kleine Endwertung, wofür man für jeden Fehler und für genommene Hilfen einen Zeitaufschlag verpasst bekommt. Aber das ist nur für die Menschen gedacht, die solche Escape-Spiele als direkte Herausforderung sehen. Ich will davon meist "nur" unterhalten werden.
Am Ende von Teil 1 haben wir fünf unterschiedliche Personen kennen gelernt – und verlassen diese in ungesicherten Situationen. Um zu wissen, wie es mit diesen Protagonisten weiter geht, muss man im Anschluss Teil 2 spielen, denn dort werden dann die einzelnen Handlungsstränge zu Ende geführt.
Das gefällt mir nicht so gut: Das Herzstück eines Escape-Spiels ist die Qualität der einzelnen Rätsel – und in der PSYCHIATRIE DES SCHRECKENS ist diese Qualität recht unterschiedlich. Mir fehlte dabei insgesamt die einheitliche Linie im Schwierigkeitsgrad. In Teil 1 hatte ich das Gefühl, dass die Rätsel sehr mathematisch orientiert waren. In Teil 2 kamen viele optische Rätsel vor, die aber nicht immer überzeugend präsentiert wurden. Denn wenn die Illustrationen zu klein, zu dunkel und zu undeutlich sind, dann kann man eben kaum etwas erkennen. Auch so eine Spielerei wie ein Magic Eye Bild ist lieb und nett, aber sie funktioniert nun einmal nicht bei allen Menschen. Insgesamt waren mir zu viele Lösungen nicht wirklich zwingend genug bzw. der Weg dorthin war nicht wirklich klar. Im Nachhinein hat man die Auflösung vielleicht verstanden, aber zu oft war diese doch zu abwegig im Verhältnis zu den zur Verfügung stehenden Informationen.
Ärgerlich daran ist, dass das bestehende Punktesystem alle Tüftelversuche sofort mit Strafen versieht. Aber genau dieses Ausprobieren macht für mich oftmals den Reiz eines Escape-Spiels aus. Wenn die Rätsel einfach genug sind, wie bei der familienfreundlichen DECKSCAPE-Reihe, dann kann ich darauf verzichten. Aber wenn die Rätsel anspruchsvoller werden, dann will ich auch mal etwas ausprobieren dürfen, dann muss ich auch mal einer abwegigen Idee nachgehen dürfen – ohne sofort bestraft zu werden, wenn der Lösungsansatz falsch ist. Aufgrund der dadurch nutzlos vertändelten Zeit sollte ich genug bestraft sein, da müssen mir nicht noch zusätzliche Minuten drauf geballert werden.
So fühlt sich das Rätseln in der Summe etwas unbefriedigend an. Dabei hat leider auch das Hilfesystem seinen Anteil. Denn so gut gemeint die zwei möglichen Hinweise sind, so wenig hilfreich sind sie im Endeffekt. Hinweis 1 kann man eigentlich immer überspringen, da dieser so offensichtlich ist, dass man darauf auch verzichten kann. Dann bleibt aber nur noch der zweite übrig, der nun aber den fast unmöglichen Bogen zwischen "andeuten aber nicht zu viel verraten" spannen muss. Unabhängig von der viel zu kleinen Schriftgröße ist das Hilfesystem in der Form nicht befriedigend. Zumindest werden aber die Lösungen genannt, so dass keine Sackgassen entstehen können.
Zusätzlich hatte ich manchmal das Gefühl, dass die Möglichkeit des zusätzlichen Materials über die Umschläge nicht ausreichend gut genutzt wurden. Manchmal ist der Inhalt der Umschläge irrelevant für das Lösen der Rätsel bzw. für die Geschichte und man fragt sich, was man nun damit machen soll. Dahingegen hätte man sich ein anderes Mal zusätzliches Material gewünscht, damit man bspw. einen Würfel nicht lediglich im Kopf zusammensetzen muss, sondern das auch tatsächlich machen könnte.
Zusätzlich rate ich, ein wenig "Tagebuch" zu führen und wichtige Informationen kontinuierlich mit zu schreiben. So fiel uns beim Erleben von Teil 2 auf, dass wir auf einmal Infos aus Teil 1 bräuchten, die wir aber nicht mehr sofort griffbereit hatten. Hier wäre auch eine kleine textliche Überleitung von Teil 1 zu Teil 2 hilfreich gewesen. Allein schon eine Wiederholung des eigentlichen Datums wäre eine echte Hilfe gewesen.
Das gefällt mir gut: Aufgrund der Menge an Text auf den Karten habe ich kurz darüber nachgedacht, ob eine App vielleicht nicht hilfreich gewesen wäre, die auch als Vorleser fungiert hätte (so in der Art wie bei den ADVENTURE GAMES). Aber eigentlich bin ich doch froh, dass das ganze System ohne technische Hilfsmittel spielbar ist. Ich daddel auch so schon genug mit dem Smartphone herum, da muss das nicht auch noch beim Spielen auf dem Tisch liegen. Zumal das System mit den Karten klar und deutlich ist – und insgesamt gut funktioniert.
Dazu gehören auch die Austauschkarten, die als Abzweigungen bei den Geschichtssträngen dienen. Dadurch wird einem ganz direkt vermittelt, dass diese Entscheidung nun eine Konsequenz auf die weitere Handlung hatte. Am Ende erlebt Gruppe A somit eine leicht andere Geschichte als Gruppe B – so etwas gefällt mir immer gut. Auch das ein oder andere Rätsel wird nicht erlebt, da man unterschiedlichen Geschichtssträngen folgt. In der Theorie lässt sich das Spiel auch komplett auf den Ursprungszustand zurück setzen, um es nochmals durch zu spielen. Das lohnt sich aber nur für neue Gruppen, da ansonsten kaum neue Rätsel entdeckt werden können.
Auch wenn ich davon schrieb, dass in Teil 1 die Rätsel eher mathematisch orientiert sind und in Teil 2 eher optisch, so kann man schon feststellen, dass insgesamt ein breites Potpourri an Rätseln vorliegt. In den Umschlägen befinden sich dann überraschende Hilfsmittel, die man anfangs auf Grund der reinen Kartenmechanik so gar nicht erwartet. Bei der Konzeption wurde somit einiges an Aufwand betrieben, um die notwendige Abwechslung und eine überzeugende Darreichungsform bieten zu können.
Insgesamt fand ich die einzelnen Geschichten durchaus fesselnd. Einen Literaturpreis wird die PSYCHIATRIE DES SCHRECKENS nicht gewinnen, aber man hatte schon das Gefühl, dass einige Zeit und Energie in die Entwicklung der Geschichte gesteckt wurde. So unterscheiden sich bspw. sprachlich die Texte auf den Karten – je nach Charakter, aus dessen Sicht man gerade die Nacht erlebt. Das fand ich stimmungsvoll und gut umgesetzt. Zusätzlich war es schön zu erleben, wie man nach und nach mehr Informationen über die PSYCHIATRIE DES SCHRECKENS erhält. Für die einzelnen Rätsel ist das unerheblich, es macht aber trotzdem großen Spaß zu sehen, wie die einzelnen Story-Puzzleteile ineinander greifen. Zumal eine Entscheidung in einem Handlungsstrang Auswirkungen auf einen anderen haben kann (weil bspw. schon eine Tür geöffnet ist, deren Schloss man vorher aus Sicht eines anderen Charakters erst knacken musste).
Fazit: Die Stärke der PSYCHIATRIE DES SCHRECKENS ist somit die aufkommende Stimmung, die gut durch die Geschichten aber auch durch die Illustrationen vermittelt wird. Die Ausstattung tut ihr Übriges, um trotz der nicht ganz überzeugenden Rätsel immer weiter am Ball bleiben zu wollen. So macht es einem die PSYCHIATRIE DES SCHRECKENS nicht leicht, da sie irgendwie nichts Halbes und nichts Ganzes ist.
Titel | Psychiatrie des Schreckens |
Autor | Martin N. Andersen, Alexander Peshkov und Ekaterina Pluzhnikova |
Illustrationen | Pavel Korobkov, Nadezhda Mikhailova, Victoria Kochkina, Victoria Volina-Lukian, Dmitry Krasnov, Maxim Suleimanov, Anastasia Stupak und Anstasia Durova |
Dauer | 10 mal 60 Minuten |
Spieleranzahl | 1 bis (10) Spieler |
Zielgruppe | rätselnde Familienspieler |
Verlag | Huch! |
Jahr | 2020 |
Ich bedanke mich bei Huch! für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars. Ich bin mir sicher, dass durch diese Bereitstellung meine Meinung nicht beeinflusst wurde. Die Besprechung spiegelt meine gemachte Erfahrung wider.
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