Ich habe länger überlegt, ob ich die Tradition der positiven Überraschungen weiterleben lassen soll oder nicht. Nicht schon wieder, dachte ich mir dann. Denn schon für eine umfangreiche Vorfreude-Liste hatte ich dieses Jahr leider keine Zeit (um diese nicht ganz aussterben zu lassen, haben wir zumindest eine kleine Top 3 in sehr abgespeckter Form in die letzte Podcast-Folge gepackt). Mit dem Argument der wenig zur Verfügung stehenden Zeit, hätte ich mich hier nun auch wieder herausreden können. Allerdings hätte das nur halb gestimmt. Viel eher habe ich dieses Jahr das "Problem", dass ich so wenig wie selten zuvor gespielt habe.
Denn aufgrund meiner neuen Funktion hatte ich sehr viele Termine bei Verlagen ausgemacht, so dass das Spielen ein wenig darunter gelitten hat. Nicht ganz ernstgemeint könnte ich mich zudem auch hinter einem konstruierten Erwartungsdruck verstecken. Zwei der letzten fünf Spiele wurden zum Spiel des Jahres nominiert (DORFROMANTIK als späterer Sieger und NEXT STATION LONDON), mit HITSTER hat es ein weiteres Spiel zusätzlich noch auf die Empfehlungsliste geschafft. Eine solche Quote sollte nun aber nicht erwartet werden...
SURFOSAURUS MAX von Ikhwan Kwon (erschienen bei Loosey Goosey Games)
SURFOSAURUS MAX hat zwei Besonderheiten: der Name ist alles andere als eingängig und die Optik kann ich bestenfalls mit "interessant" beschreiben. Beim Namen kann ich mir noch mit der Abkürzung SMAX aushelfen, bei der grafischen Gestaltung muss ich ein wenig leiden. Dabei will ich aber gar nicht über Geschmack streiten, auch wenn der Illustrationsstil von Matthias Mödl definitiv gewohnheitsbedürftig ist. Aber die Farbgebung mancher Karten ist teilweise eine echte Hürde, weil nicht auf dem ersten Blick klar wird, ob wir nun diese oder jene Farbe auf dem Tisch ausliegen haben.
Dabei ist diese Information wichtig, bilden wir doch eine gemeinsame Auslage. Bei dieser wird nach erfolgtem vollständigen Ausspielen überprüft, welche fünf Karten daraus das höchste Poker-Ergebnis bilden. Diese Karten gehen in den jeweils persönlichen Siegpunktvorrat; die anderen Karten werden ergebnislos für den Rest des Spiel abgeworfen. Das ist schon alles – aber trotzdem machte SURFOSAURUS MAX in den ersten Partien eine Menge Spaß. Der Zugang ist einfach und die Emotionen schwappen über, wenn sicher geglaubte Punkte wieder flöten gehen. Dauernd gibt es Table Talk und viel zu selten passen die wenigen eigenen Handkarte zu den Interessen der anderen.
NEWSBOYS von Saashi (erschienen bei Saashi & Saashi)
Bekanntlich mag ich Roll-and-Write bzw. Flip-and-Write-Spiele sehr gerne. Davon gab es auf der SPIEL auch wieder jede Menge. Mein Messe-Vorfavorit war dabei HOCHSAISON, welches ein Ableger des von mir durchaus sehr geschätzten GRAND AUSTRIA HOTEL ist. Dahingegen gar nicht auf dem Schirm hatte ich im Vorfeld NEWSBOYS - dabei hätte mir durchaus klar sein müssen, dass dieses Spiel etwas für mich ist. Schließlich hat Autor Saashi das "Zettelspiel"-Genre mit REMEMBER OUR TRIP und GET ON BOARD absolut bereichert.
NEWSBOYS kommt mit dem mechanischen Kniff daher, dass es die beiden Subgenres Roll- und Flip-and-Write miteinander verbindet. Denn uns allen stehen jeweils drei Symbole auf den Karten zur Verfügung, zusätzlich würfeln wir aber noch unsere eigenen drei Würfel, um damit das persönliche Symbol-Angebot der aktuellen Runde zu vervollständigen. Der Rest ist genretypisches Abkreuzen von Planfeldern und Leisten – wenn es nicht noch eine thematische Besonderheit gäbe: um unser Einkommen zu steigern, müssen wir uns für das Thema Mindestlohn engagieren. Immer mal wieder verzichten wir auf Kreuze auf dem Spielplan und forcieren unseren Einfluss auf der Streikleiste, die uns dann in den Einkommenphase den individuellen Mindestlohn sichert. Trotz gewohnter Abkreuzroutine werden wir so zum Nachdenken über das Thema angeregt.
AUF DEN WEGEN VON DARWIN von Gregory Grard und Matthieu Verdier (erschienen bei Sorry We Are French)
Aufgrund der vielen Neuerscheinungen mit einem Naturthema schaut auch immer mal wieder Herr Darwin um die Ecke. Im Gegensatz zum Expertenkracher DARWIN'S JOURNEY ist AUF DEN WEGEN VON DARWIN dahingegen ein leicht zugängliches Familienspiel, welches deutlich schneller gespielt ist aber ebenso gut zu unterhalten weiß.
In AUF DEN WEGEN VON DARWIN fährt Darwins Beagle um eine Plättchen-Auswahl im 3*3‑Raster. Dort, wo sie anhält, können wir uns aus der zugehörigen Spalte oder Zeile ein Plättchen nehmen und der Abstand zur Beagle gibt nun an, wie weit diese danach weiter fährt, um den nachfolgenden Mitspielenden ein Angebot zu machen. Dieser Mechanismus erinnerte mich ein wenig an Spiele von Günter Burkhardt (bspw. MAORI oder KUPFERKESSEL CO.). Im Spiel sammeln wir dann verschiedene, sehr schön illustrierte Tiere ein, die uns später mit Siegpunkten belohnen. In diesem Spiel wird unser Hirn nicht überfordert, sondern angenehm angeregt – und es bleibt noch genügend Zeit zu einem gemütlichen Plausch.
QUICKSAND von Hjalmar Hach und Lorenzo Silva (erschienen bei Horrible Guild)
Im letzten Jahr war KITES ein großer Überraschungserfolg. Kein Wunder, dass dieses nun als lokalisierte Version bei Huch! erschienen ist. Aber es gab auf der SPIEL noch weitere Sanduhr-Spiele, wie z.B. den inoffiziellen KITES-Nachfolger SKYROCKETS aus dem gleichen Verlag. Mir hat allerdings QUICKSAND noch besser gefallen – was vielleicht auch an der wieder einmal sehr charmanten Regelerklärung durch den Autoren selbst lag.
In QUICKSAND müssen wir unsere Sanduhren eine Wegstrecke entlang ziehen und dabei vermeiden, dass der Sand nicht mehr frei nach unten rieselt. Das gelingt uns durch das Ausspielen von passenden Farb- oder Symbolkarten, die mit den Plättchen korrespondieren, auf denen die Sanduhren stehen. Im Spiel sind fünf Sanduhren enthalten, die teilweise unterschiedlich gefüllt sind, so dass sie sich schneller oder langsamer leeren. Somit können verschiedene Schwierigkeitsstufen gespielt werden – und bei manchen Leveln dürfen wir nicht gemeinsam reden, was ansonsten erlaubt ist.
Natürlich ist auch QUICKSAND hektisch. Allerdings gibt es durchaus auch immer mal wieder Verschnaufpausen und das Ziel sollte es sein, einen gemeinsamen Rhythmus zu finden. Mir gefällt so etwas!
KELP von Carl Robinson (erscheint bei Wonderbow Games)
Ist es nun Werbung, wenn man über ein Spiel berichtet, was noch gar nicht erschienen ist? Diese Frage habe ich mir durchaus gestellt, denn für KELP startet erst in den nächsten Wochen eine entsprechende Crowdfunding-Kampagne. Allerdings war das Spielerlebnis so besonders, dass ich nicht von meinen positiven Überraschungen der SPIEL 2023 berichten kann ohne von dieser Erfahrung zu erzählen. Zudem hat das Spiel auch keinen Prototypen-Status mehr. Alle Inhalte sind fertig gesetzt und das Material wird nur noch geringfügig verbessert (so wurde nun z.B. festgestellt, dass die Beutel doch deutlich zu klein ausgeführt waren).
KELP ist ein asymmetrisches 2‑Personen-Spiel. Dabei geht die Asymmetrie sogar so weit, dass für beide Personen unterschiedliche Mechaniken benutzt werden. Der Hai wird über Würfel gesteuert, die jeweils aus einem Beutel gezogen werden. Dabei hat der Hai das Ziel, den Kraken nicht nur zu finden, sondern auch im Kampf zu besiegen. Der Kraken versucht dahingegen sich lange genug versteckt zu halten und dabei trotzdem für Nahrung zu sorgen, weswegen man sich immer mal wieder offen zeigen muss. Für diese Aktionen benutzt der Kraken eigene Karten mit einem Deckbuilding-Mechanismus.
Doch nicht nur die Mechaniken sind etwas besonderes, auch die Illustrationen von Weberson Santiago sind ein Blickfang. Ich habe nur den Kraken gespielt, hätte aber sofort gerne noch einmal den Hai ausprobiert. Allerdings wollte ich den Platz nicht länger besetzen, gab es doch eine Menge anderer Personen, die ebenfalls das Spiel ausprobieren wollten. Diese hohe Nachfrage konnte ich gut nachvollziehen, hat mich der Ersteindruck doch ziemlich begeistert.



















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