Rajas of the Ganges von Inka und Markus Brand - erschienen bei Huch!
Seit ein paar Jahren ist das Holi-Fest ("Fest der Farben") bei uns in West-Europa vermehrt ins Bewusstsein gelangt. Erstmals ist es mir aufgefallen, als sehr bunt gesprenkelte Menschen glückselig aus einer S‑Bahn stiegen. Dunkel erinnere ich mich auch an den ein oder anderen Werbespot in diesem Zusammenhang. Jedenfalls wird somit gerne Indien mit "farbenfroh" in Verbindung gebracht. Nach Betrachtung des Covers und des Spielplans sollte jedem klar sein, wie ich auf diese einleitenden Sätze komme...
Thema... musste ich gerade noch einmal nachschlagen, denn so richtig präsent war es mir nicht mehr. Laut Anleitung befinden wir uns in der Ära des aufstrebenden Mogulreiches und wollen unsere eigene Provinz entwickeln. Dazu werden Landschaften angelegt und Gebäude gebaut. Da auch in Indien nichts umsonst ist, sollte man zusätzlich auch über genügend Geld verfügen, was durch den Handel an Märkten erworben wird. Außerdem ist die Lebensader Indiens, der Ganges, nicht aus dem Blick zu verlieren.
Illustrationen... sind von Dennis Lohausen und – auch wenn ich mich bei ihm wiederhole – wieder wunderschön. Denn auch wenn der Spielplan auf dem ersten Blick völlig überladen wirkt, so bemerkt man auf dem zweiten und dritten Blick die trotzdem vorherrschende Klarheit. Die Symbolsprache ist wieder sehr gut gelungen, auch wenn man diese teilweise erst neu erlernen muss. Zusätzlich gibt es wieder die vielen liebenswerten Lohaus'schen Detail zu bewundern. So sehr mich damals die Cover-Gestaltung auch abschreckte, so sehr habe ich mich mittlerweile in die Illustrationen des Spielplans verliebt.
Ausstattung... wie schon bei ULM (der Wiedergeburt des Kennerspiels bei Huch!) bin ich sehr zufrieden mit der Ausstattung. Über allem stehen natürlich die vielen bunten Würfel in knalligen Farben, die einfach toll in der Hand liegen. Aber auch der Rest kann sich sehen lassen. Die detaillierten Spielfiguren sind aus Holz und der Rest aus gut verarbeiteter Pappe. Lediglich die Bonusmarker und Ertragsplättchen hätten gerne etwas größer sein können, denn so sind sie schon arg fummelig.
Sehr schön ist auch, dass vieles doppelseitig bedruckt ist. Der Spielplan ist auf der einen Seite für 2 Spieler skaliert und auf der anderen Seite für 3 bzw. 4 Spieler. Für eine schon im Spiel enthaltende Variante unterscheiden sich auch die Provinz- und Kali-Statue-Tableaus (nettes Gimmick für die Würfelablage) zwischen Vorder- und Rückseite.
Ablauf... RAJAS OF THE GANGES ist ein Worker-Placement-Spiel bzw. (um etwas genauer zu sein) größtenteils ein Dice-Placement-Spiel. So können verschiedene Orte mit Arbeitern besetzt werden. Um die Aktion dort durchzuführen, müssen meist aber die passenden farbigen Würfel abgegeben werden (z.T. mit der entsprechenden Augenanzahl).
Die Einsetzfelder sind ein Sammelsurium bekannter Aktionen. Mal bekomme ich neue Würfel, mal kann man Personen mit speziellen Vorteilen benutzen. Am häufigsten wird jedoch die Bautätigkeit gewählt. Gegen Abgabe von Würfeln (und ansteigender Bestechung bei der Baugenehmigung) kann man sich Landschaftsplättchen aus einer begrenzten offenen Auslage wählen und diese dann auf seinem eigenen Provinztableau ablegen. Die Plättchen geben dabei an, welche Augenzahl auf den Würfeln abgebildet sein müssen, um sie sich nehmen zu dürfen. Dabei dürfen natürlich Würfel kombiniert werden und außerdem kann man Würfel beeinflussen (gegen Abgabe von Karma darf man den Würfel auf die gegenüberliegende Seite drehen). Über das Platzieren der Plättchen kann man dann Prestigepunkte gewinnen (über Gebäude) oder auf der Geldleiste voran rücken (über Märkte). Außerdem kann man sich Boni freischalten, wenn man diese am Rande des Tableaus mit seinen Wegen erschließt. Während die Gebäude nur über diese Bebauung Punkte bringen, kann man die Märkte auch noch auf gesonderten Feldern aktivieren, um sein Einkommen zu erhöhen.
Nicht zu unterschätzen ist auch der Ganges, auf dem unsere Boote fahren – natürlich nur in eine Richtung (ULM und EGIZIA lassen grüßen). Dessen Flussfelder geben nämlich auch viele verschiedene Boni, die doch recht üppig sein können. Zusätzlich hat der Ganges noch einen weiteren Vorteil: fährt man weit genug, dann bekommt man einen zusätzlichen Arbeiter zur Verfügung gestellt – und der bedeutet natürlich, mehr Einsetzmöglichkeiten.
Zusätzliche Arbeiter kann man sich auch frei schalten, wenn man über einen bestimmten Geldbetrag oder eine bestimmte Prestigepunkte-Anzahl verfügt. Diese beiden "Währungen" werden über gegenläufige Leisten organisiert, auf denen ebenfalls Boni bei Erreichen von bestimmten Zielpunkten ausgeschüttet werden. Der Clou an RAJAS OF THE GANGES ist, dass das Spielende dann eingeläutet wird, wenn sich die Marker auf den jeweiligen Leisten treffen. Es findet also ein Wettrennen um Geld und Prestige statt. Am Ende zählt dann der Abstand zwischen den beiden Markern, ob man siegreich ist oder nicht.
Natürlich gibt es noch viele kleine Sonderregeln (so darf man in der Basisversion nur 5 der 6 möglichen Arbeiter besitzen), die ich aber gar nicht aufführen will. Da werfe ich lieber einen Blick auf die beiden beigefügten Erweiterungsmodule. Im einen Modul kommen alternative Flussfelder ins Spiel. Per Zufall werden bestehende mit neuen überdeckt – und schon ist eine neue Varianz gegeben. Das andere Modul ermöglicht unter anderem auch 6 Arbeiter zu besitzen. Außerdem können nun die Belohnungen auf dem Provinz-Tableau individuell bestückt werden, so dass die jeweilige Spielweise etwas individueller wird.
Das gefällt mir nicht so gut: Das Wettrennen auf den beiden Leisten ist schon ganz nett. Allerdings fördert das auch den unschönen Eindruck, sich hoffnungslos abgeschlagen zu fühlen. Spätestens in der letzten Runde sollte einem klar sein, ob man nun um den Spielsieg mitspielt oder nicht. Manche Spieler haben dann ein Problem damit, wenn sie nicht in der Spitzengruppe vertreten sind. Ja, das ist bei anderen Spielen auch der Fall, bei RAJAS OF THE GANGES wird das aber sehr deutlich aufgezeigt – auch, weil es keine zusätzlichen (geheimen) Punkte in einer Endwertung gibt, mit der man Rückstände vielleicht noch aufholen kann.
Ohnehin kann es durchaus vorkommen, dass man mal minutenlang den Mitspielern bei ihren Zügen zuschaut. Hat man selbst noch keine Bonus-Arbeiter aktiviert, während die Mitspieler sich ihre schon frei gespielt haben und kommt es dann noch zu einem unglücklichen Wechsel des Startspielers, dann gibt es eine längere Phase, in der man selbst nicht ins Spielgeschehen eingreift. Da nicht immer alle Spielzüge im Voraus geplant werden können (weil diese von den Mitspielern zunichte gemacht wurden), kann das durchaus auch einmal ein wenig dauern. Im Normalfall wird aber zügig gespielt, da man die Würfel direkt bei Erhalt wirft und man somit schon genügend Vorlauf hat, sich dafür einen Plan zurecht zu legen.
Glück spielt natürlich eine große Rolle. Einerseits durch die Würfel (wobei man nicht grundsätzlich sagen, dass hohe Augenanzahlen bspw. besser sind als niedrige), andererseits aber auch durch die begrenzte Auswahl der Landschaftsplättchen. Da hat man eines ins Auge gefasst und vielleicht fehlt einem nur auf den Würfeln nur eine Augenanzahl, um das Plättchen zu nehmen. Also dreht man noch eine kleine Ehrenrunde, um sich einen weiteren Würfel dieser Farbe zu besorgen. Da die Mitspieler aber nicht untätig sind, kann es einem passieren, dass dieses gewünschte Plättchen in der Zwischenzeit weg geschnappt wurde – und das darunter frei werdende passt so überhaupt nicht in mein Konzept. Das muss man aushalten können.
Ein letzter kleiner Kritikpunkt: irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass RAJAS OF THE GANGES am Reißbrett zusammen gestellt wurde. Mir fehlt so ein wenig der eigene Geist, das gewisse Etwas. Alles funktioniert und passt zusammen – es fühlt sich aber nicht wie aus einem Guss an. Dafür verantwortlich ist möglicherweise auch die suboptimale Anleitung, die nicht wirklich griffig genug ist.
Das gefällt mir gut: All diese negativen Punkte fallen bei mir allerdings nicht zu sehr ins Gewicht. So kann ich bspw. gut mit dem Glücksanteil leben. Wenn Würfel im Spiel sind, dann ist mir auch bewusst, dass diese ihr spezielles Eigenleben haben. Das bedeutet, dass es auch einmal richtig blöd laufen kann (sowie auch großartig, wenn man Glück hat). Allerdings bietet RAJAS OF THE GANGES viele Wege zum Ziel. Natürlich spielen sich manche Strategien einfacher – man darf aber nicht den Fehler machen, auf Teufel komm raus an der favorisierten Strategie festzuhalten. Spielen die Würfel dabei nämlich nicht mit, dann ist die Strategie falsch gewählt und ich muss mich kritisch hinterfragen.
So habe ich am Anfang gedacht, dass man nur oft die 4 würfeln muss, um über das entsprechende Einsetzfeld schnell die Gebäude-Punkte-Multiplikatoren zu steigern. Dann habe ich die Stärke der Märkte kennen gelernt, um danach die Vorteile des Flusses schätzen zu lernen. Ich habe Partien erlebt, da habe ich die Geldleiste bis zum Ende ausgereizt – und welche, da kam ich damit gerade einmal zum ersten Bonus. Und mit beiden Ansätzen war ich durchaus erfolgreich. In meinen Augen muss man sich also davon lösen, RAJAS OF THE GANGES als Strategiespiel anzusehen. Vielmehr sind viele kleine taktische Entscheidungen zu treffen und es muss das eigene Spiel an die geworfenen Würfel sowie natürlich an die Mitspieler angepasst werden. Wenn mein Lieblingsfeld auf dem Ganges durch einen Mitspieler besetzt ist, dann kann ich entweder warten, bis es wieder frei ist – oder aber ich versuche, meine Strategie auf die neue Gegebenheit anzupassen. RAJAS OF THE GANGES ist im Endeffekt ein Wettrennen, da ist jeglicher Zeitverlust zu vermeiden. Somit ist man also darin gefragt, das Beste aus seinen Würfelwürfen zu machen. Dafür gibt es meist auch genügend Möglichkeiten.
Der Wettlaufcharakter kann sich für den hinten liegenden doof anfühlen – ist man aber vorne mit dabei, dann ist er spannend und emotional. Heutzutage wird Spielen gerne vorgeworfen, dass sie immer alle Möglichkeiten ausbalancieren und somit zu einem Punkte-Einheitsbrei verkommen. Das ist bei RAJAS OF THE GANGES anders. Es gibt zwei Leisten, die es zu beachten gilt und dabei sind die Möglichkeiten klar und deutlich aufgezeigt. Es gibt keine geheimen Aufträge, überproportionale Endwertungen und keine verborgenen Punktegeneratoren. Das finde ich erfrischend direkt. Auch die beiden Leisten finde ich redaktionell gut gelöst. Natürlich hätte man auch stattdessen nur mit einer Leiste arbeiten können. Bei Einkommen geht man einen Schritt und bei Prestigegewinn zwei Schritte vor und es gewinnt, wer einen festen Endwert erreicht. Aber so werden die verschiedenen Strategien deutlicher. Außerdem können mit der bestehenden Regelung die kleinen Meilenstein-Boni auf den Leisten frei geschaltet werden – und die haben es durchaus in sich.
Für mich schafft es RAJAS OF THE GANGES perfekt, einerseits zufällig dynamisch zu sein, andererseits aber Entscheidungen nicht in Belanglosigkeiten abdriften zu lassen. Ja, es ist nicht alles planbar und manchmal kann es blöd laufen. Dafür sind aber auch Emotionen im Spiel und ich fühle mich trotz des schwach ausgeprägten Themas in das Spiel eingebunden. Zusätzlich sind viele Elemente enthalten, die mir Spaß machen. Ich darf würfeln, ich darf Plättchen sinnvoll anlegen und ich muss mir Gedanken über das richtige Timing machen.
Sehr gut gefallen mir auch die beiden schon beigefügten Erweiterungsmodule. Somit bleibt das Spiel variabel, da sich immer neue Möglichkeiten eröffnen. Feste Fluss-Strategien werden vielleicht aufgebrochen und durch die individualisierten Belohnungen, kann man noch etwas feiner an seiner aktuellen Strategie feilen.
Zu guter Letzt muss ich noch einmal die Ausstattung und die Grafik loben. Mit diesem Spielmaterial macht es einfach Spaß sich zu beschäftigen. Alles fühlt sich wohl durchdacht an – insbesondere die grafische Gestaltung. Hat man bei einem ersten flüchtigen Blick noch das Gefühl, dass man dieses Chaos nicht überblicken kann, so klärt sich dieser Blick sehr schnell und man fühlt sich gut an die Hand genommen. So bunt und farbenfroh alles gestaltet ist – man kann sich trotzdem schnell zurecht finden. Und wer ein wenig warten muss, der kann sich an den vielen schönen kleinen Details auf dem Spielplan erfreuen.
Fazit: RAJAS OF THE GANGES ist so ein Spiel, dass wir für mich gemacht ist. Es ist nicht ausufernd komplex, bietet aber trotzdem viele schöne kleine Entscheidungen. Die Mechaniken sind fein verwoben, so dass auch unterschiedliche Wege zum Spielsieg führen können. Manche Spötter werden aufgrund des aufgesetzten Themas dazu vielleicht "seelenloses Eurospiel" sagen – ich sage dazu mögliches "Kennerspiel des Jahres". Zumindest in meiner persönlichen Wertung.
Titel | Rajas of the Ganges |
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Autoren | Inka und Markus Brand |
Illustrationen | Dennis Lohausen |
Dauer | 20 bis 30 Minuten pro Person |
Personenanzahl | 2 bis 4 Personen |
Zielgruppe | würfelaffine Kennerspielrunden |
Verlag | Huch! |
Jahr | 2017 |
Hinweis | für die Besprechung wurde vom Verlag ein Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt |
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