Fazit zur SPIEL 2018 in Essen
Als ich heute in viele euphorische Kindergesichter geschaut habe (auch wenn sie teilweise unter den Masken kaum zu erkennen waren), musste ich immer ein wenig innerlich lachen. Denn mit einem solch gesehenen zufriedenen Grinsen im Gesicht bin ich wohl letzte Woche statt von Tür zu Tür von Messestand zu Messestand getingelt – auch wenn ich dabei nicht nach Süßes oder Saures gefragt habe. Mich interessierte eher die Frage "taugt das was oder nicht?". Allerdings muss ich mir die Antwort darauf in den nächsten Wochen selbst geben. Doch nun ist diese besondere Zeit leider auch schon wieder vorbei. Nix da mehr mit Vorfreude-Listen (höchstens kommen nun im Nachhinein ein paar "Geheimtipps"). Zeit also für eine kleine Nachberichterstattung bzw. meinem Fazit zur SPIEL 2018.
Dabei muss ich allerdings aufpassen, mich nicht zu wiederholen. Denn manche Schlagworte des letzten Jahres könnte ich dieses Jahr problemlos wieder aufgreifen. So wird uns bspw. das Thema Vielfalt glücklicherweise wohl auf lange Zeit begleiten. Die Spielelandschaft ist so vielfältig geworden, dass kaum noch ein fundierter Überblick bestehen kann. 1.150 Aussteller aus 50 Ländern mit etwa 1.400 Spieleneuheiten beglückten uns auf der SPIEL 2018. Da muss man sich frei machen können! Auch von dem Gedanken, nun DAS eine Spiel der Messe zu finden. Vielerorts hörte ich: da ist viel gutes dabei, aber der Überflieger fehlt. Doch kann es den überhaupt noch geben? Die Vielfalt hört doch nicht bei den angebotenen Spielen auf, sondern geht auch bei den Spielenden weiter. Es sollen 190.000 Spielefans die Messen bevölkert haben – wie viele unterschiedliche Geschmäcker da wohl dabei sein werden? Für manche ist GLOOMHAVEN vielleicht das Spiel der Spiele – viele andere können damit überhaupt nichts anfangen. So gesehen kann ich mir kaum vorstellen, dass es irgendwann einmal dieses eine Spiel geben wird, das alle begeistert. Und übrigens, das fragen danach nervt langsam ein wenig. Mein Tipp: hört auf jedes Jahr neu den heiligen Spiele-Gral zu suchen! Man kann bei dieser Suche nur enttäuscht werden.
serious gaming – ernsthafte Themen auf den Vormarsch?
Immer wieder habe ich vor allem in der Vorberichtserstattung davon gehört, dass dieses Jahr "ernsthafte" Themen etwas ganz besonderes seien. Als prominentes Beispiel wurde dabei fast ausschließlich HOLDING ON genannt. Allerdings ist mir ein in den Fokus gerücktes Spiel zu wenig, um hier von einer echten Trendwende zu sprechen. Ja, HOLDING ON behandelt einen neuen Themenaspekt. Aber ist das wirklich so etwas besonderes? Ketzerisch gesagt: schon PANDEMIE hatte ein ernsthaftes Thema – und dort waren viel mehr Menschen vom Tode bedroht. Okay, ich sehe schon ein, dass bei HOLDING ON thematisch mehr in die Tiefe gegangen wird. Aber mechanisch ist man gar nicht so weit von PANDEMIE entfernt. Und für mich fühlte sich HOLDING ON mehr mechanisch als thematisch an. Außerdem macht eine Schwalbe noch keinen Sommer. Ich denke nämlich, dass solche thematischen Besonderheiten jedes Jahr präsentiert werden (ich erinnere nur an LES POILUS). Warum in diesem Jahr ein solches Spiel als so etwas besonderes angesehen wird, hat sich bei mir mit Blick auf die restlichen 1.399 Spiele nicht ergeben. Denn es gab vor allem weiterhin die bunte Mischung an vielen Themen: manchmal schöner Blödsinn, manchmal eben auch etwas ernsteres. Für mich wurde hier hauptsächlich erfolgreich ein kleiner Hype-Zug erzeugt.
Ermitteln statt Fliehen
Als Thementrend habe ich dieses Jahr eher "Ermitteln" ausgemacht. Standen die letzten Jahre mehr unter dem Eindruck, Exit-Räume auf das Medium Brettspiel übertragen zu wollen, werden nun eifrig Verbrechen gelöst. Dies geschieht auch gerne durch Berücksichtigung technischer Hilfen, was manchen Puristen wieder zur Weißglut treiben wird (da das Smartphone doch bitte nichts am Spieletisch verloren hat). Warum auf einmal so viel ermittelt wird? Vielleicht kommt hierbei die neue Lust an Fernsehserien zu tragen. Wobei CSI eigentlich ein alter Hut ist...
einsame Strände nötigen zum Entdecken
Auch die Serie Lost liegt nun schon länger zurück. Trotzdem bleibt das Setting interessant genug, um ganz viele Spiele auf (einsamen?) Inseln spielen zu lassen. Mich würde ja mal die durchschnittliche Rate von gestrandeten Reisegruppen an verlassenen Stränden interessieren. Glaubt man den ganzen erschienenen Spielen, dann müssten das wahnwitzig vielen Menschen sein, denen so etwas passiert (und die wenigsten werden einen Volleyball dabei haben). Aber dieses Szenario ist nun einmal unheimlich reizvoll. Gut gefällt mir daran, dass mit ADVENTURE ISLAND nun auch Familienspieler dieses Erlebnis teilen dürfen. Mit DISCOVER: ZU UNENTDECKTEN LANDEN ist in diesem Genre auch ein Vertreter der sogenannten Unique Games vertreten. Was dieses Konzept genau für einen Mehrwert für uns Spieler haben soll, habe ich immer noch nicht verstanden. Ich gehe davon aus, dass in spätestens zwei Jahren kaum noch einer von Unique Games abseits der CCG / LCG / TCG – Schiene reden wird.
Kooperation ist gefragt
Beim Spielen zu DISCOVER fiel uns noch etwas auf. Die Spielregel sagt nirgendwo etwas dazu, ob das Spiel kooperativ zu spielen ist (lediglich Szenario 5 ist als kompetitiv deklariert, so dass im Umkehrschluss die anderen wohl kooperativ sind). Aber alle Mitspieler gingen selbstverständlich davon aus, dass dem so ist. Denn kooperative Spiele sind mittlerweile nichts außergewöhnliches mehr. Ganz im Gegenteil: diese Spiele werden immer mehr nachgefragt. Kaum ein größerer Verlag, der kein kooperatives Spiel im Angebot hat. Mir gefällt dieser Trend außerordentlich gut, unterstreicht kooperatives Spielen doch den gesellschaftlichen Aspekt beim Spielen.
weniger ist mehr
Letztes Jahr hatte ich mich darüber beklagt, dass ein Trend zu immer aufgeblähteren Kenner- und Expertenspielen besteht. Statt Spiele elegant zu halten, wurden sie unnötig kompliziert, um damit ein mögliches Alleinstellungsmerkmal zu erhalten. Das ist mir in dieser Form glücklicherweise in diesem Jahr nicht mehr vermehrt aufgefallen. Ja, es gab sie noch die aufgemotzen Expertenspiele (z.B. ein TEOTIHUACAN oder ein CROWN OF EMARA, was das Mehrfach-Rasierklingen-Phänomen in die Spielebranche einführt). Aber gefühlt waren in diesem Jahr wieder mehr Spiele in einfacheren (Familienspiel-)Gefilden zu finden. Trendwende oder Ausnahme? Die Zeit wird es zeigen.
mehr ist mehr
Damit beziehe ich mich nicht auf die Spiele an sich, sondern auf die mittlerweile stetig angewachsene Begleit-Industrie. Selten habe ich so viele Stände gesehen, die keine Spiele, aber dafür Materialien ZU Spielen anboten. Kartenhüllen, Inlays aus Holz oder Foamcore, Accessoires, T‑Shirts und der neueste Schrei: Brettspieltische! Es wird Zeit, dass ich im Lotto gewinne, damit ich mir auch mal so einen Brettspieltisch anschaffen kann. Auf der Messe gab es viele verschiedene Hersteller zu bewundern – und ein wenig fühlte ich mich wie auf einer Automesse. Okay, ich gebe es zu, ich war noch nie auf einer. Aber ich stelle mir das so vor, dass ich mir dort Sachen ansehe, die ich zwar irgendwie ganz toll finde, die ich mir aber ohnehin nicht leisten kann/will. So ist das in meinen Augen auch bei Brettspieltischen. Noch faszinierender finde ich, dass für diese Tische auch gerne der heute übliche Brettspiel-Vertriebsweg gewählt wird. Denn scheinbar wird nun in der nächsten Zeit einiges auf diesem Gebiet über die bekannten Crowdfunding-Plattformen laufen. Was das noch mit Crowdfunding im eigentlichen Sinn zu tun hat, frage ich mich aber schon seit langer Zeit.
Entspannung scheint notwendig
Wenn man lange an Brettspieltischen sitzt, scheint man ganz schön verspannt zu sein (das liegt wohl an den tiefer gelegten Spielflächen). Auch für diese Probleme gab es auf der SPIEL schon die entsprechenden Lösungen. In vielen Hallen haben Anbieter mich mit Nackenmassagegeräte zum Entschleunigen einladen wollen. Da ich aber weder einen Brettspieltisch noch Zeit hatte, musste ich immer dankend ablehnen.
neue Eiszeit
Die dadurch gewonnene Zeit habe ich lieber damit verbracht, mich auch kulinarisch weiterzubilden. Nachdem ich vor zwei Jahren erstmals auf der SPIEL mit einem Schokoladen-Döner beglückt wurde, habe ich mich dieses Jahr Ice Cream Rolls gewagt. Scheinbar mal wieder ein Trend aus Asien. Schmeckt aber!
Toiletten
Schon die Pressekonferenz zur SPIEL hat deutlich gemacht: Toiletten und deren Inhalt bleiben ein Thema! Über längere Schlangen will ich gar nicht reden – schließlich haben 190.000 Besucher alle menschliche Bedürfnisse (und außerdem kennt man selbst mittlerweile die Geheimtipps). Und in Zeiten, in denen über ein drittes offizielles Geschlecht geredet wird, sollte man vielleicht ohnehin nur noch Gemeinschaftstoiletten anbieten. Hat bei den Römern doch auch geklappt. 🙂
Aber ich beziehe mich mal wieder auf das Thema, weil es immer noch ein beliebtes Thema bei Spielen ist – und nicht nur bei Kinderspielen. Keine Ahnung, warum das so fasziniert. Meine Begeisterung dazu hat jedenfalls aufgehört, als ich endlich nicht mehr aufs Töpfchen gehen musste, sondern die Toilette der Erwachsenen benutzen durfte. Aber jeder Jeck ist bekanntlich anders.
Verkehr
Ich habe mich mal wieder getraut, mit der Bahn anzureisen. Das ist an für sich ganz praktisch, da dies recht effektiv den Kaufreiz eingrenzt. Dieses Jahr war das aufgrund von durchgeführten Bauarbeiten in den NRW-Ferien aber nur eine suboptimale Entscheidung (wofür aber natürlich die Messe in Essen nichts kann). Irgendwie klappt die Zugfahrerei aber – zumindest bei der Hinfahrt.
Die Rückfahrt gestaltete sich dahingegen wieder äußerst abenteuerlich. Aber um da etwas positives heraus zu heben: am Kölner Hauptbahnhof entdeckte ich tatsächlich noch so eine elektrische Modelleisenbahn in einer Vitrine. Was habe ich die als Kind geliebt, wenn ich im Bahnhof war. Ich verweilte eine Zeit in der Nähe davon und beobachtete die Passanten. Dabei war es schön zu sehen, dass diese kindliche Faszination bis heute geblieben ist. Noch so eine Sache für den persönlichen Lotto-Gewinn.
Spielend für Toleranz
Eine noch größere Freude für mich gab es aber auf der SPIEL. Mir fiel auf, wie oft einem das Logo der Initiative "Spielend für Toleranz" begegnet ist. Es kamen mir doch einige T‑Shirts mit dem Logo entgegen (also eigentlich waren es natürlich Leute, die das T‑Shirt trugen). Aber auch viele Stände haben einen Aushang gemacht oder das Logo anderswo prominent gezeigt. Am Beeple-Stand wurden Unterschriften gesammelt und am Ende der Messe sah das recht eindrucksvoll aus. Weiter so!
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