Einen kleinen Erlebnisbericht zur Verleihung des diesjährigen (Kenner-)Spiel des Jahres habe ich schon geschrieben. Allerdings möchte ich die Entscheidungen der Jury gerne auch nochmals wie im Vorjahr ausführlicher kommentieren. Richtig spannend werden aber solche Kommentare wohl erst in ein paar Jahren zu lesen sein, wenn man dann beurteilen kann, wie sich die Spiele des aktuellen Jahrgangs im Laufe der Zeit so "gehalten" haben.
Spiel des Jahres: AZUL von Michael Kiesling
AZUL war der große Favorit und ist seiner Rolle letztendlich auch gerecht geworden. Das Gesamtpaket ist dabei einfach stimmig. Ein sehr interessanter Mechanismus trifft auf eine perfekte Umsetzung (Material, Grafik und wer es braucht auch noch ein dünnes Thema). Hier passt einfach alles. Man kann es lieb und nett spielen, man kann aber auch mit gewisser Spielerfahrung hundsgemein sein. Schon im Vorfeld zur SPIEL in Essen war ich mir sicher, dass AZUL einem bei der Preisverleihung begegnen wird und ich sah lange keinen echten Konkurrenten. Der hat sich dann aber auf der Zielgeraden doch noch aus dem Windschatten heraus kristallisiert. Denn auch ein LUXOR hätte es sicherlich verdient gehabt, diesen Preis zu gewinnen. Möglicherweise kam es etwas zu spät auf den Markt, um gegen die vielen euphorischen Spielbesprechungen von AZUL noch Boden gut machen zu können. Aber LUXOR wäre definitiv keine falsche Wahl gewesen. Bei THE MIND sehe ich das nur bedingt. Ja, das Spiel hat mich begeistert durch seine Andersartigkeit. Aber es hat eben auch in manchen Runden grandios gefloppt. Die Nominierung ist sicherlich schon ein großer Erfolg gewesen, damit wurden auch der Mut des Autors und Verlages belohnt, eine solche verrückte Idee auf die Spielewelt loszulassen. Mal schauen, ob das im Herbst mit dem innoSpiel gewürdigt wird.
Nicht zu unterschätzen sind übrigens auch die Spiele der Empfehlungsliste. Hier habe ich mich besonders für MEMOARRR! gefreut. Aber auch die anderen Titel sind gut ausgewählt und zeigen schön die Bandbreite des Jahrgangs auf. MAJESTY und WOODLANDS spiele ich davon noch am liebsten, aber auch 5‑MINUTE DUNGEON oder auch SANTORINI haben ihren speziellen Reiz. Wobei ich mir anstatt SANTORINI als 2‑Personen-Spiel dann doch lieber HANIMAKOJI auf der Liste gewünscht hätte. Natürlich hätte ich mir noch weitere gute Spiele auf der Empfehlungsliste vorstellen können. Allerdings sollte eine solche Liste auch nicht zu lange sein, damit die Spiele dort nicht wieder in der Masse verschwinden.
Kennerspiel des Jahres: DIE QUACKSALBER VON QUEDLINBURG von Wolfgang Warsch
Diese Entscheidung hat mich durchaus überrascht, auch wenn nach Erscheinen recht schnell viele euphorische Meinungen zu DIE QUACKSALBER VON QUEDLINBURG zu lesen waren. Auch in meinem Umfeld waren viele Mitspieler durchaus angetan, was ich in gewisser Weise auch nachvollziehen kann. Allerdings trifft es meinen Geschmack nicht zu 100 Prozent – vielleicht auch deswegen, weil ich durchaus noch weiteres Potenzial sehe, um das Spiel etwas interaktiver zu gestalten. Aktuell ist es mir etwas zu solitär. Auch über die Einstufung als "Kennerspiel" war ich etwas überrascht, lässt sich das Spiel doch recht gut häppchenweise erklären. Allerdings ist das von meiner Seite natürlich ein kleiner Denkfehler, denn das Spiel muss sich über die Regel erlernen lassen und diese ist dann doch eher auf Kennerspielniveau. Wobei ich mich nun frage: wäre es vielleicht mit einer "Los-Spiel-Anleitung" im Stile des Catan'schen Prof. Easy am Ende doch nicht besser beim roten Pöppel aufgehoben. Vor allem im Vergleich zu anderen Spielen wie das letztjährige WETTLAUF NACH EL DORADO? Hier ist immer noch keine klare Grenze zwischen Rot und Anthrazit zu erkennen. Aber wahrscheinlich ist das auch nicht so einfach und muss dann tatsächlich jedes Jahr aufs Neue interpretiert werden. Schon klarer im anthraziten Bereich sind dahingegen die anderen beiden nominierten Spiele anzusiedeln. GANZ SCHÖN CLEVER erfordert schon eine gewisse Cleverness, um alle Möglichkeiten auf Anhieb zu verstehen (und gute Augen, um sie dann auch zu erkennen). Hat man diese verinnerlicht, wird man aber mit einem großartigen Roll&Write-Spiel belohnt. HEAVEN & ALE ist sicherlich vom Anspruch her das dickste Brett – allerdings besitzt es auch einen überschaubaren Regelumfang, weswegen es noch als Kennerspiel durchgeht. Bei diesem Titel haben es aber Anfänger schwer, Erfolgserlebnisse zu sammeln, was einige doch als arg demotivierend empfunden haben. Summa summarum hätte ich mich deswegen wohl für GANZ SCHÖN CLEVER ausgesprochen.
Allerdings nur deswegen, weil RAJAS OF THE GANGES überraschenderweise erst gar nicht zur Diskussion stand. So ganz wollte mir das immer noch keiner erklären, warum es überhaupt keine Erwähnung fand – auch nicht auf der sehr kurzen Empfehlungsliste. Diese umfasst lediglich PIONEERS und KLONG!, die es sicherlich verdient haben, ein wenig ins Rampenlicht gesetzt worden zu sein. Allerdings hätte die Liste in meinen Augen ruhig noch ein wenig umfangreicher sein können und bspw. ein CLANS OF CALEDONIA berücksichtigen dürfen.
Kinderspiel des Jahres: FUNKELSCHATZ von Lena und Günter Burkhardt
Zum Kinderspiel des Jahres habe ich mir keine Meinung gebildet. Meine Kinder sind mittlerweile aus dieser Zielgruppe entwachsen und ich tue mich schon schwer genug, einen Überblick über die weiteren Spiele zu erhalten. Aber trotzdem freut es mich für Günter Burkhardt und auch für HABA – beide waren einfach mal dran!
Sonderpreis: PANDEMIC LEGACY – SEASON 2 von Matt Leacock und Rob Daviau
Die Vergabe dieses Sonderpreises finde ich sehr gut. Schon die damalige Nominierung von SEASON 1 zum Kennerspiel des Jahres 2016 war ein klares Zeichen. Aufgrund der Komplexität dieses genialen Spieles wäre aber eine Preisvergabe schwierig zu begründen gewesen (es gibt eben immer noch nicht das Expertenspiel des Jahres). Mit diesem Sonderpreis konnte man nun aber die Innovationsfreudigkeit und die Güte der Arbeit von Matt Leacock und Rob Daviau (und auch den Verlagen) entsprechend würdigen. Beide haben den Horizont der Spielewelt deutlich erweitert.
Abschließend gratuliere ich allen Gewinnern (Autoren, Verlage und Illustratoren), bedanke mich aber genauso auch bei allen Nominierten bzw. Empfohlenen für viele viele Stunden Spielspaß!
Wer sich den Spaß machen will, kann auch gerne nochmals meinen Blick in die Glaskugel lesen. Da habe ich im Vorfeld der Nominierungen meine Favoriten benannt. Erstaunlicherweise lag ich gar nicht so schlecht mit meinen Tipps...
Die Quacksalber von Quedlinburg sind sicher ein schönes Spiel, aber ein Kennerspiel? Wenn man sich die Kennerspiele der vergangenen Jahre und die zugehörigen Nominierungslisten anschaut (7 Wonders, Istanbul, Isle of Sky um nur einige zu nennen), fallen die Quacksalber doch ganz schön ab. Die Begründung der Jury ist mehr als dürftig: "Ein reines Glücks- spiel? Nein, denn Autor Wolfgang Warsch lässt den Spielern dank des exquisiten Grundrezepts viele taktische Freiheiten beim Verfeinern." Das Spiel ist derart glückslastig, dass alles taktieren nicht lohnt. Es kommt ja nicht nur darauf an, welche Zutaten im Beutel sind, sondern auch noch ganz entscheidend ob und wann ich sie ziehe. Schade, dass die Jury dieses Jahr kein Kennerspiel mit geringerem Glücksfaktor gefunden hat. An fehlender Auswahl lag es sicher nicht.
Das Problem beim "Kennerspiel" bleibt der unglückliche Begriff des "Kenners". Dieses Kenner impliziert bei vielen etwas, was so wohl gar nicht gewollt war. So wie ich es mittlerweile verstanden habe, geht es eben nicht um den Anspruch eines Spieles, sondern in erster Linie um die Einstiegshürde. Ganz platt vereinfacht: alles was mehr als vier Seiten Regeln hat, kann maximal nur noch für den Kenner-Preis nominiert werden. Das ist natürlich überspitzt dargestellt, soll aber ein wenig die Intention verdeutlichen. Kennerspiele müssen also per se keinen hohen Anspruch erfüllen (dürfen sie aber natürlich sehr gerne). Kennerspiele sind allerdings im Vergleich zu den Spielen der "roten" Kategorie schwerer zu erlernen – und hier vor allem: selbstständig zu erlernen (also nicht von jemanden erklärt zu bekommen). Unter diesem Blickwinkel erklärt sich dann die Einordnung der QUACKSALBER als Kennerspiel. Denn die Regeln sind nun einmal etwas kleinteilig. Da diese Sonderregel, dort die andere. Dann verändern die Wahrsagerkarten Teile der Regeln für die laufende Runde usw... In der Summe ist das dann manchen schon zu viel an Regeln.
Unbestreitbar ist aber sicherlich, dass der diesjährige Preisträger den wohl niedrigsten Anspruch hat. Aber muss dieser denn immer gleich hoch sein? Denn noch ein anderer Blickwinkel: wenn man sich die Preisträger der letzten Jahre insgesamt so anschaut, dann ist das eine sehr interessante und vielfältige Mischung. Viele verschiedene Mechanismen und Stimmungen sind dabei. So gesehen ist es vielleicht auch beabsichtigt, dass hier ein weiterer Akzent gesetzt wird. Ein Kennerspiel muss nicht immer ein mittelschweres Eurospiel sein, auch gute Zockerspiel mit etwas schwereren Zugang sind in der Brettspielwelt zu Hause.