Glaskugel zum Spiel des Jahres 2021 – ich tippe die Preisträger und die Nominierten
Überraschung! In gut einer Woche verkündet die Spiel des Jahres Jury die nominierten und empfohlenen Spiele des aktuellen Jahrgangs. Da darf im Vorfeld natürlich nicht der Blick in meine Glaskugel zum Spiel des Jahres 2021 fehlen. Diese Glaskugel war im letzten Jahr erstaunlich erfolgreich, so dass ich kurz damit geliebäugelt habe, mich auf dem Höhepunkt meiner Vorhersage-Kunst zurück zu ziehen. Allerdings macht dieses Raten einfach zu viel Spaß! So habe ich nochmals die Glaskugel vom letzten Jahr verwendet (wie man in der Abbildung sehen kann), um wieder mein Glück zu versuchen. Und neben den ganzen Spekulationen kann man en passant noch das ein oder andere Spiel ein wenig würdigen.
Das Ganze ist natürlich von meiner Seite nicht all zu ernst gemeint. Auch wenn ich mittlerweile einen halbwegs guten Überblick über den aktuellen Jahrgang habe, so ist dieser leider immer noch äußerst lückenhaft, wenn es um die tatsächlichen Spielerlebnisse geht. Denn ich habe sicherlich nur einen kleinen Bruchteil der in Frage kommenden Spiele auch tatsächlich auf dem Tisch gehabt. So rutscht sicherlich auch mal eine Perle durch mein Raster oder ich überschätze die Wirkung eines Spiels maßlos. Deswegen bin ich auch immer wieder gespannt auf die Listen der Jury. Was muss ich mir noch ansehen? Was habe ich bisher vielleicht verpasst?
Wie auch bei vielen Partyspielen, bei denen es um das Einschätzen der Mitspielenden geht, darf man nicht den Fehler machen, zu sehr von sich auf andere zu schließen. Ich versuche tatsächlich hier den Geschmack der Jury vorauszusehen – und nicht die Spiele zu nennen, die ich gerne auf den Listen stehen sehen würde. Wobei man meine Präferenz bestimmt bei der Kommentierung herauslesen kann. Dieses Jahr kommt beim Blick in die Glaskugel allerdings erschwerend hinzu, dass mir die Erfahrung des gemeinsamen Spielens mit unterschiedlichen Personen fehlt. Solche Großveranstaltungen wie die SPIEL in Essen oder auch Darmstadt spielt! waren für mich bspw. immer eine Möglichkeit, umfangreiches und vor allem direktes Feedback zu erleben. Dieses Problem wird sicherlich auch die Jury haben. Statt in ganz vielen Spielerunden alle möglichen Titel auszuprobieren, muss nun vieles aufgrund der eigenen Erfahrung abgeschätzt werden. Ich bin da aufgrund der bestehenden Kompetenz zuversichtlich, dass das auch gut gelingen wird. Aber es fehlen nun einmal die direkten Eindrücke. So unterscheidet sich bspw. das Spielgefühl von ANNO 1800 deutlich, wenn man es zu viert anstatt nur zu zweit spielt. In diesem Jahr wird es somit sicherlich schwieriger, allen Spielen wirklich gerecht werden zu können.
Apropos gerecht: wenn ich mir die Diskussionen im Vorfeld dieser Nominierungen vergegenwärtige, dann sehe ich mich auch dieses Jahr dazu genötigt, nochmals auf die Zielrichtung hinzuweisen, die mit dem Preis einher geht. Ich rate also allen Mit-Diskutierenden mal einen Blick außerhalb der Bubble zu riskieren und sich noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, für was der Preis steht und welche Zielgruppe damit erreicht werden soll. Aus diesem Grund sollte man sich auch nicht zu sehr auf die möglichen Siegertitel konzentrieren, sondern auch die Spiele beachten, die auf den Empfehlungslisten stehen. Denn über diese Listen wird immer wieder aufgezeigt, wie vielfältig Brettspiele heutzutage sind.
Spiel des Jahres
Lassen wir das rumeiern weg: Spiel des Jahres 2021 wird DIE ABENTEUER DES ROBIN HOOD von Michael Menzel! Höre ich da Einsprüche? "Wie, schon wieder kooperativ?" "Aber die gendern doch gar nicht in der Anleitung und Frauen sind unterrepräsentiert!" "Ist das nicht ein billiger teurer Abklatsch von DIE LEGENDEN VON ANDOR?" "Dieses Spielbrett sieht nach zwei Partien bespielt aus, dafür gebe ich doch kein Geld aus!" "Das ist doch alles nur Hype, weil KOSMOS voll die Marketing-Kampagne gestartet hat." "Nach einer Partie wusste ich, wie die Geschichte laufen wird – da ist doch überhaupt kein Wiederspielreiz vorhanden." Das sind ungefähr die Meinungen, die ich erwarte, wenn DIE ABENTEUER DES ROBIN HOOD nominiert wird. Und die werden noch lauter, wenn es erst gewinnen sollte. Doch nicht falsch verstehen, da sind auch schon einige Wahrheiten enthalten. Aber DIE ABENTEUER DES ROBIN HOOD sind eben auch ein klasse Familienspiel. Die Art und Weise, wie der Spielplan einbezogen wird, ist innovativ und motivierend. Die spezielle Form des Bag-Buildings ist einfach zu verstehen und zu handhaben. Statt vorher umfangreich Regeln erlernen zu müssen, kann gleich in die Geschichte eingetaucht werden – zumal das Setting auch allgemein bekannt und durchaus beliebt ist. Was will man eigentlich mehr?
Katzen! Denn Katzen gehen doch immer, wie wir alle als Internet-User wissen. Und ist die Katze auf dem Cover von CALICO (von Kevin Russ) nicht niedlich? Allerdings fehlt auf dem Cover der Hinweis: Vorsicht, das ist kein Wohlfühlspiel. Wie auch bei AZUL täuscht die Optik ein wenig darüber hinweg, dass man dieses Spiel hundsgemein spielen kann. "Wie? Du benötigst noch unbedingt diesen grünen gestreiften Stofffetzen? Mir ist ja eigentlich egal was ich nun nehme – doch wusstest du, dass Lindgrün meine heimliche Lieblingsfarbe ist?" Hinzu kommt noch, dass CALICO ein ziemlicher Hirnverzwirbler sein kann, wenn man glaubt, alle Aufgabenplättchen unbedingt vollständig erfüllen zu müssen. Allerdings gibt es eine Regelvariante, die auf diese zusätzlichen Aufgaben verzichtet und dann ist CALICO deutlich zugänglicher. Wäre diese Regelvariante der Standard, dann hätte ich es von Anfang an in die rote Kategorie gepackt. So habe ich lange zwischen anthrazit und rot geschwankt – um im Endeffekt bei rot zu bleiben. Der Grund dafür ist, dass man selbst mit diesen Aufgabenplättchen getrost auf diese verzichten kann und trotzdem noch Siegchancen hat. Darüber hinaus ist es schlicht auch ein wunderschön gestaltetes Legespiel mit hohem Aufforderungscharakter.
Beim dritten nominierten Spiel habe ich lange hin und her geschwankt. Schlussendlich habe ich mich eher für einen Favoriten denn einen Underdog entschieden. Denn MICROMACRO: CRIME CITY von Johannes Sich ist seit letztem Herbst in aller Munde – und das auch völlig zurecht. Natürlich hat es auch Schwachpunkte (bspw. ist das Thema nur bedingt familiengerecht), aber auf der anderen Seite ist es auch ungewöhnlich und somit sehr reizvoll. Außerdem ist die Zugänglichkeit so einfach wie bei kaum einem anderen Spiel, befindet sich doch schon auf dem Cover eine Art Tutorial. Ob es nun den Preis gewinnen wird, oder nicht: ich bin mir sicher, dass MICROMACRO einen Trend gesetzt hat, den wir in den nächsten Jahren noch spüren werden.
Somit bin ich nun bei den Empfehlungen: Recht sicher bin ich mir, dass wir dort PUNKTESALAT finden werden. Das Spiel ist nicht nur einen Hommage an alle verkappten Euro-Fans, sondern schlicht ein gutes und einfaches Kartenspiel. Dann darf natürlich das obligatorische Kommunikationsspiel nicht fehlen. Hier schwankte ich zwischen zwei-drei potentiellen Kandidaten und habe mich dann für SPUKSTABEN entschieden, auch wenn es genauso gut DAS PERFEKTE WORT oder TUPPFEHLER werden könnten. In der Kategorie lustige Hirnverzwirbler sehe ich dieses Jahr TACO KATZE ZIEGE KÄSE PIZZA an vorderster Stelle. Dann würde ich mich freuen, wenn es WILDES WELTALL auf die Empfehlungsliste schaffen würde, weil es nicht nur eine besondere Optik aufweist, sondern auch ein kurzweiliger Engine-Builder ist, der ohne viel Ballast daher kommt. Ein wenig hoffe ich auch noch auf FANTASTISCHE REICHE. Das haben wir hier eine Zeit lang rauf und runter gespielt. Allerdings hat es auch so seine Hürden, weswegen es eigentlich auch schon ein Kandidat für den Kennerspielbereich wäre – wenn der nur nicht so eng wäre, so dass man Spiele von dort in die rote Kategorie stecken muss. Somit könnte FANTASTISCHE REICHE gut auch in der Kennerspiel-Liste landen, dabei sein wird es aber meiner Meinung nach. Ein anderer Geheimtipp ist FORGOTTEN WATERS, was wunderbar als Abenteuerspiel im Familienkreis funktioniert. Leider steht die deutsche Vertonung der vielen Texte noch nicht zur Verfügung, aber spätestens mit dieser Hilfe kann man getrost den nächsten DVD-Abend ausfallen lassen und lieber selbst Pirat sein. Zusätzlich kann man FORGOTTEN WATERS auch recht gut online spielen, was natürlich das i‑Tüpfelchen in der heutigen Zeit darstellt. Dann sehe ich noch SWITCH&SIGNAL mit auf der Empfehlungsliste. Da hätte es sogar für noch mehr reichen können, wenn die ein oder andere bestehende Kante weggeschliffen worden wäre. Bei den 2‑Personen-Spielen war ich dieses Jahr eher etwas enttäuscht – bis mich ROMEO & JULIA erreichte. Das ist überraschenderweise ein kooperatives Logik-Spiel mit besonderem Thema. Wenn aber der Spieltrieb zu zweit lieber klassisch in Duell-Form ausgetragen werden soll, dann wäre noch RIFTFORCE ein guter Kandidat. Zu guter Letzt möchte ich noch meinen Tipp aus der letzten Glaskugel anbringen. Vielleicht ist TRAILS OF TUCANA letztes Jahr aufgrund der Covid-19-Situation nicht mit aufgenommen worden und darf dann dieses Jahr vortanzen. So ganz glaube ich das aber selbst nicht...
Kennerspiel des Jahres
Bei PALEO von Peter Rustemeyer gibt es eine Gretchenfrage für die Jury: wie sehr beeinflusst die Qualität der Anleitung ihre Entscheidung? Aufgrund der nachgeschobenen Version 2.0 ist das bei PALEO aber vielleicht gar nicht mehr so das Thema. Aber im Kern ist das schon eine spannende Frage, schließlich ist eine gute Anleitung das Herzstück eines Spiels, weswegen ich mich auch immer noch darüber ärgere, dass nicht mehr die Essener Feder verliehen wird. Doch fernab von diesem Schauplatz ist PALEO ein tolles kooperatives Spiel. Denn selbst wenn die einzelnen Regeln vielleicht nicht immer ganz klar sind, kann man tief in ein Abenteuer eintauchen. Die geniale Kartenmechanik fördert die Spannung und verhindert innovativ die Angst vor der Wiederholungsschleife.
Wenn ich schon Spiele mit einer suboptimalen Anleitung in die engere Auswahl nehme, dann kann ich gleich auch noch THE CASTLES OF TUSCANY von Stefan Feld nennen. Das ist spielerisch über jeden Zweifel erhaben, hat allerdings bei mir den Eindruck hinterlassen, dass redaktionell etwas schlampig gearbeitet wurde. Zugegebenermaßen ist das aber auch ein Meckern auf hohem Niveau. Leider wird es meiner Meinung nach nicht zum Titelgewinn ausreichen, was mir insbesondere für Stefan Feld leid tut, da er diesen sicherlich mal verdient hätte. Aber bei der riesigen Konkurrenz wird eine Nominierung sicherlich auch groß gefeiert werden.
Beim dritten nominierten Spiel habe ich lange hin und her geschwankt. Letztendlich habe ich mich für einen Außenseiter-Tipp entschieden und benenne deswegen nun PARKS von Henry Audubon. Außenseiter deswegen, da es schon im letzten Frühsommer erschienen ist und eigentlich Bestandteil des vorherigen Jahrgangs war. Allerdings konnte das Spiel durch die Covid-19-Situation sicherlich nicht ausgiebig genug gespielt werden, um sich damals rechtzeitig ein umfassendes Bild zu machen. PARKS ist eine echte Augenweide und das Spielprinzip ist einfach genug, um damit auch Neulinge nicht komplett zu überfordern. Kurz habe ich gezuckt, ob ich PARKS nicht mit CALICO tauschen soll. Allerdings ist das Spielkonzept bei CALICO klarer und bei PARKS müssen unterschiedliche Karten während einer Partie gelesen und bewertet werden, weswegen ich es dann doch als Kennerspiel ansehe. Aufgrund des etwas friedlicheren Charakters ziehe ich PARKS aber tatsächlich vor, wenn ich Menschen vom Brettspielen überzeugen will. Aber dann bin ich auch dabei und kann helfend eingreifen.
Und was wären dann die Favoriten auf diesen dritten Nominierten-Platz? Ganz oft hat man DIE VERLORENEN RUINEN VON ARNAK damit in Verbindung gebracht. Allerdings bin ich mir da nicht so sicher. Das besitzt zwar anfangs einen großen Wiederspielreiz, der aber meiner Meinung nach doch recht schnell verflacht. Ich sehe dahingegen eher AEONS END noch auf der Empfehlungsliste. Dieses Spiel verschreckt manche sicherlich etwas mit Optik und Thema, aber spielerisch ist das schon große Klasse! Dann könnte ich mir als Expertenspiel noch WASSERKRAFT vorstellen – mehr als eine Nennung wird es aber aufgrund der bestehenden Komplexität nicht werden. Seit der Nominierung von TERRAFORMING MARS wissen wir, dass auch länger dauernde Spiele nicht durch das Raster fallen. So darf sich also auch ein ANNO 1800 berechtigte Hoffnungen machen. Das Spiel kommt vielleicht etwas unspektakulär daher, weiß aber durch seine feine Mechanik zu überzeugen und langweilt trotz teilweise epischer Spieldauer kein bisschen. Auch FAIYUM hätte sicher eine Nennung verdient, aber wahrscheinlich ist das schon wieder zu speziell. Durch die vielen neuen Mitglieder in der Jury kann ich mir auch noch GLOOMHAVEN – DIE PRANKEN DES LÖWEN vorstellen, wobei ich dazu überhaupt nichts sagen kann, da das nicht meine Art von Spiel ist.
Dahingegen werden wohl reine Solo-Spiele wahrscheinlich nicht gewürdigt werden. Das ist schade, sind in diesem Jahr doch herausragende Titel in diesem Bereich erschienen. So empfände ich die Empfehlung von UNDER FALLING SKIES oder CANTALOOP als ein tolles Zeichen und auch absolut verdient – nur leider glaube ich nicht daran.
Was ich mit übrigens gar nicht zutraue ist eine Vorhersage zum Kinderspiel des Jahres. Aus diesem Bereich bin ich mittlerweile fast komplett draußen, da kann ich nicht mit einer fundierte Meinung dienen.
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